Berlin (Reuters) – Die Bundesregierung dringt vor dem Treffen der EU-Innenminister auf einen Durchbruch in der europäischen Migrationspolitik.
Man hoffe auf eine Einigung auf ein Gesamtpaket mit Asylverfahren an den EU-Außengrenzen und einem Verteilmechanismus in der Europäischen Union, sagte ein Sprecher des Innenministeriums am Mittwoch zu dem anstehenden Treffen in Luxemburg. Kanzler Olaf Scholz wird zudem am Donnerstag in Rom mit der italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni über das Thema sprechen. Menschenrechtsgruppen laufen Sturm gegen die von der Bundesregierung im Prinzip gebilligten EU-Pläne, Asylverfahren für einen Teil der Flüchtlinge und Migranten bereits an den EU-Außengrenzen abzuhalten.
Die Innenministerinnen und Innenminister der 27 EU-Staaten beraten am Donnerstag in Luxemburg über ein Gemeinsames Europäisches Asyl-System (GEAS). Darin ist im Kern vorgesehen, dass Menschen mit geringer Aussicht auf einen positive Asylbescheid in Europa direkt an der Grenze einer Prüfung unterzogen und bei Ablehnung zurückgewiesen werden. Ähnlich wie bei den sogenannten sicheren Herkunftsstaaten soll dies nach Angaben eines Sprechers des Innenministeriums für Menschen aus Ländern mit einer Anerkennungsquote unter 20 Prozent gelten. Die Verfahren an den EU-Außengrenzen sollen innerhalb von zwölf Wochen abgeschlossen sein.
Zweites Element der angestrebten Einigung ist, dass anerkannte Asylbewerber dann auf alle EU-Staaten nach einem Schlüssel verteilt werden. Dagegen sperrten sich seit 2015 vor allem einige osteuropäische Länder. Zudem soll die EU-Außengrenze generell gegen illegale Migration besser geschützt werden. Schließlich soll es eine Liste mit sicheren Herkunfts- und Transitländern geben, in die in Europa angekommene Menschen abgeschoben werden können.
MENSCHENRECHTSGRUPPEN UNZUFRIEDEN
Vor allem die Grenzverfahren stoßen bei Menschenrechtsgruppen auf Ablehnung. “Das zentrale Ziel des internationalen Systems des Flüchtlingsschutzes … wird durch Grenzverfahren konterkariert”, kritisierte der Rat für Migration. Es handele sich bei solchen Prüfungen “nicht um vollwertige Asylverfahren” und stehe somit auch im Widerspruch zum Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP. Dem widersprach ein Sprecher des Innenministeriums.
Der Rat für Migration forderte Bundesinnenministerin Nancy Faeser auf, die Reform scheitern zu lassen und einen Neuanfang nach den Europawahlen im nächsten Jahr anzusteuern. Die neuen Vorschläge befeuerten lediglich “die Forderungen rechtspopulistischer und extremer Parteien und Regierungen nach einer faktischen Abschaffung des Flüchtlingsschutzes”, erklärte der Rat, der ein bundesweiter Zusammenschluss von mehr als 200 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ist.
Die Bundesregierung will der EU-Vorlage im Grundsatz zustimmen, fordert aber, dass Familien mit minderjährigen Kindern unter 18 Jahren generell von den Grenzverfahren ausgenommen und einer regulären Überprüfung unterzogen werden. “Es sind meist die Menschen aus Kriegsgebieten, die mit ihren Kindern kommen – und die haben ohnehin hohe Aussicht auf Schutz in der EU und müssen nicht in die Grenzverfahren”, bekräftigte Faeser am Mittwoch im Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). “Wir wollen, dass Kinder und Jugendliche, also die Verwundbarsten überhaupt, besonders geschützt sind.” Ob sich Faeser damit durchsetzen wird können, blieb aber offen.
Laut europäischer Statistikbehörde wurden in der Europäischen Union (EU) zu Jahresbeginn über 40 Prozent mehr Erstanträge auf Asyl gestellt als vor einem Jahr. In Deutschland registrierte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) in den ersten fünf Monaten des Jahres 135.961 Asylanträge. Das entspricht einer Zunahme von 76,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Die meisten Antragsteller kamen aus Syrien und Afghanistan.
Scholz hatte in den vergangenen Tagen mehrfach betont, dass 80 Prozent der Asylanträge in Deutschland von Flüchtlingen gestellt würden, die eigentlich in anderen EU-Staaten hätten registriert werden müssen. Weder der Regierungssprecher noch der Sprecher des Innenministeriums wollten vor den Gesprächen in Luxemburg und Rom sagen, ob Italien eines der EU-Länder ist, die ankommende Flüchtlinge und Migranten ohne Registrierung nach Deutschland durchwinken.
(Bericht von Andreas Rinke, Alexander Ratz; redigiert von Christian Rüttger Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)











