Noch keine Entwarnung – Inflation im Euro-Raum nimmt wieder leicht zu

– von Frank Siebelt und Reinhard Becker

Frankfurt (Reuters) – Nach Monaten mit nachlassendem Preisschub hat sich die Inflation im Euro-Raum im April wieder leicht verstärkt.

Angesichts der hartnäckigen Teuerung in der 20-Länder-Gemeinschaft bleibt der Druck auf die Europäische Zentralbank (EZB) hoch, ihren Zinserhöhungskurs beizubehalten. Die Verbraucherpreise legten im April binnen Jahresfrist um 7,0 Prozent zu, wie das Statistikamt Eurostat am Dienstag in einer ersten Schätzung mitteilte. Analysten hatten das erwartet. Die Teuerung liegt damit immer noch mehr als drei Mal so hoch wie die Zielmarke von zwei Prozent, die die EZB als Optimalwert erachtet. Noch im März war die Inflation auf 6,9 Prozent gesunken, nach 8,5 Prozent im Februar. Die nächste Zinssitzung der EZB findet bereits an diesem Donnerstag statt.

Volkswirten zufolge kann daher noch keine Rede von Entwarnung sein. “Es wird noch Monate dauern, bis das EZB-Preisziel langsam am Horizont sichtbar wird”, meint Chefvolkswirt Alexander Krüger von der Hauck Aufhäuser Lampe Privatbank. “Da die Kerninflation weiter erdrückend ist, bleiben Leitzinserhöhungen das Gebot der Stunde.” Die Kernrate, in der die schwankungsreichen Energie- und Lebensmittelpreise sowie Alkohol und Tabak ausgeklammert sind, ging im April leicht auf 5,6 Prozent zurück von 5,7 Prozent im März. “Wenn es noch Argumente für weitere deutliche Zinsanhebungen der EZB bedarf, mit den April-Inflationsdaten werden sie spätestens geliefert”, meint Thomas Gitzel, Chefvolkswirt der VP Bank. Der neuerliche Inflationsanstieg zeige, dass der Teuerungsdruck hoch bleibe.

Chefvolkswirtin Fritzi Köhler-Geib von der staatlichen Förderbank KfW hält trotz einer recht hartnäckigen Kerninflation einen Wechsel zu kleineren Zinsschritten für am wahrscheinlichsten. “Denn angesichts der rasch nachlassenden Absatzpreiserwartungen und der inzwischen weitgehend aufgelösten Materialengpässe ist ein sinkender Preisdruck von der Güterkomponente im Warenkorb absehbar”, sagte sie. Volkswirte erwarteten zuletzt mehrheitlich eine Zinsanhebung um 0,25 Prozentpunkte am Donnerstag. Der an den Finanzmärkten maßgebliche Einlagensatz, den Geldhäuser für das Parken überschüssiger Gelder erhalten, würde damit auf 3,25 Prozent steigen.

Für einen kleinen Zinsschritt der EZB spricht zudem die jüngste vierteljährliche Umfrage der Notenbank zur Kreditvergabe der Banken – der sogenannte Bank Lending Survey (BLS). Danach hat die Nachfrage nach Krediten seitens der Unternehmen im ersten Quartal deutlich nachgelassen. Für das zweite Quartal rechnen Banken mit einer weiteren, wenn auch nicht ganz so starken, Abschwächung der Kreditnachfrage. Zudem verschärften die Institute der Erhebung zufolge ihre Standards für Firmenkredite im ersten Quartal erheblich. “All dies dürften für die Notenbanker insofern willkommene Nachrichten sein, als die Straffung ihrer Geldpolitik Wirkung entfaltet”, kommentierte Commerzbank-Volkswirt Marco Wagner. Dies liefere Währungshütern, die eher eine lockere Geldpolitik bevorzugten, Argumente für eine Verringerung des Zinserhöhungstempos am Donnerstag.

LEICHTER ANSTIEG DER ENERGIEPREISE

Die Energiepreise nahmen im April binnen Jahresfrist um 2,5 Prozent zu. Noch im März waren sie aufgrund eines Basiseffekts um 0,9 Prozent gesunken, da nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine vor einem Jahr die Energiepreise in die Höhe geschnellt waren. Die Preise für Lebensmittel, Alkohol und Tabak kletterten im April um 13,6 Prozent, nachdem sie im März noch um 15,5 Prozent nach oben geschnellt waren. Industriegüter ohne Energie verteuerten sich im April um 6,2 Prozent. Noch im März hatte das Plus bei 6,6 Prozent gelegen. Die Preise für Dienstleistungen nahmen im April um 5,2 Prozent zu, nach einem Plus von 5,1 Prozent im März.

Die EZB hat im Kampf gegen die hohe Inflation ihre Schlüsselsätze seit Juli 2022 in rasantem Tempo bereits sechs Mal in Folge angehoben – zuletzt Mitte März um 0,50 Prozentpunkte. Angesichts der Turbulenzen in der Banken-Branche hatte EZB-Präsidentin Christine Lagarde angekündigt, dass die Währungshüter vorerst auf Sicht fahren wollen. Einige Euro-Wächter hatten sich allerdings zuletzt für weiter steigende Zinsen starkgemacht. Sie treibt unter anderem die Sorge um, dass sich die hohen Inflationsraten in den Erwartungen der Menschen festsetzen. Dies würde es für die Euro-Wächter noch schwieriger machen, die Inflation wieder zurückzudrängen in Richtung zwei Prozent.

(Redigiert von Hans Seidenstücker; Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

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