Einzelhandel mit erneutem Umsatzminus – “Verlorenes Jahrzehnt”

Berlin (Reuters) – Den deutschen Einzelhändlern setzt die Kaufzurückhaltung ihrer inflationsgeplagten Kunden immer mehr zu.

Ihr Umsatz fiel im März um 1,3 Prozent geringer aus als im Vormonat, wie das Statistische Bundesamt am Dienstag mitteilte. Inflationsbereinigt (real) sank der Umsatz sogar um 2,4 Prozent und damit so stark wie seit fünf Monaten nicht mehr. Das kommt überraschend: Von der Nachrichtenagentur Reuters befragte Ökonomen hatten hier mit einem Wachstum von 0,4 Prozent gerechnet, nachdem es bereits im Februar ein Minus von 0,3 Prozent gegeben hatte. Im Vergleich zum Vorjahresmonat verzeichnete der Einzelhandel sogar ein reales Umsatzminus von 8,6 Prozent.

“Der Rückgang der Einzelhandelsumsätze reflektiert die durch Energiepreisschock und hohe Inflation fallende Kaufkraft der Privathaushalte in Deutschland”, sagte der wissenschaftliche Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), Sebastian Dullien. In den kommenden Monaten dürften sich die Kaufkraftverluste dank stärker steigender Löhne und steuer- und abgabenfreier Inflationsausgleichprämien aber nachlassen. “Dann dürfte sich auch der private Konsum wieder allmählich erholen”, sagte Dullien. Das Konsumniveau vom Vor-Corona-Jahr 2019 dürfte aber frühestens 2025 wieder erreicht werden. “Der Energie- und Nahrungsmittelpreisschocks bedeutet damit ein halbes verlorenes Jahrzehnt für die Deutschen Konsumentinnen und Konsumenten”, sagte Dullien.

Ähnlich sehen das auch Banken-Volkswirte. “Der Umsatz befindet sich ganz klar in einem Abwärtstrend”, kommentierte der Chefvolkswirt der Hauck Aufhäuser Lampe Privatbank, Alexander Krüger, die Entwicklung. “Wegen der hohen Inflation wird es der Einzelhandel weiter schwer haben.”

SPAREN BEI LEBENSMITTELN

Der reale Umsatz im Einzelhandel mit Lebensmitteln sank im März um 1,1 Prozent zum Vormonat. Im Vergleich zum März 2022 gab es sogar einen Einbruch von 10,3 Prozent. “Dabei handelt es sich um den stärksten Umsatzrückgang zum Vorjahresmonat seit Beginn der Zeitreihe im Jahr 1994”, betonten die Statistiker. Eine Ursache dafür dürften teure Nahrungsmittel sein, die im März 22,3 Prozent mehr kosteten als ein Jahr zuvor. “Der Preisauftrieb für Nahrungsmittel war im März damit dreimal so hoch wie die Gesamtteuerungsrate”, so das Bundesamt. Ökonom Dullien bezeichnete diese Entwicklung als bedenklich. “Hier ist davon auszugehen, dass besonders ärmere Familien, die ohnehin oft qualitativ schlechtere Nahrungsmittel kaufen, nun noch einmal weiter sparen”, sagte der IMK-Direktor. Der reale Umsatz im Einzelhandel mit Nicht-Lebensmitteln sank im März um 2,3 Prozent zum Vormonat. Der lange Zeit boomende Internet- und Versandhandel verzeichnete sogar einen Rückgang von 4,8 Prozent.

Der Handelsverband Deutschland (HDE) befürchtet angesichts der Konsumzurückhaltung ein Ladensterben, zumal auch die Kosten für viele Geschäfte gestiegen seien. In diesem Jahr dürften etwa 9000 Geschäfte aufgeben, prognostizierte der HDE.

(Bericht von Rene Wagner, redigiert von Hans Busemann; Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)

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