– von Klaus Lauer
Berlin (Reuters) – ProSiebenSat.1 vergrault mit einer drastischen Dividendenkürzung seine Anleger und den italienischen Großaktionär MFE.
Der Fernsehkonzern kündigte an, 2023 nur rund elf Millionen Euro auszuschütten, nach 181 Millionen im Vorjahr. Es sollen 0,05 (Vorjahr: 0,80) Euro je Aktie verteilt werden und auch künftig soll weniger Geld an die Eigentümer gehen, dafür mehr in Investitionen, wie Konzern-Chef Bert Habets am Freitag erläuterte. Daraufhin brach die Aktie im MDax zeitweise um fast 19 Prozent ein und steuerte auf den größten Tagesverlust seit 15 Jahren zu. “ProSieben hat seine Aktie als Dividendentitel gekillt”, sagte ein Händler. Es gebe keine Gründe mehr, die Papiere zu halten.
Auch der italienische Großinvestor MFE, die Holding des früheren italienischen Regierungsschefs Silvio Berlusconi, reagierte kritisch: “Als größter und langfristiger Aktionär beobachtet MediaForEurope die jüngsten Entwicklungen bei ProSiebenSat.1 und den Wertverlust nach den gestrigen Bekanntgaben im Zusammenhang mit den Ergebnissen für das Geschäftsjahr 2022 mit Sorge.” Der Vorstand müsse einen Fahrplan für die Umsetzung der strategischen Prioritäten vorlegen. Außerdem müsse klar definiert werden, wie der ProSieben-Vorstand die internen und externen Herausforderungen angehen werde “und wie der Wert für alle Aktionäre gesteigert werden kann”.
KONJUNKTURFLAUTE TRIFFT WERBEGESCHÄFT – GEWINN SINKT
Der seit November amtierende Habets muss an mehreren Fronten für Ruhe sorgen. Er muss die Aktionäre nun überzeugen, dass die Bayern den richtigen Kurs fahren. Zudem muss der Niederländer Wogen um die Gutschein-Tochter Jochen Schweizer glätten, einen Jobabbau managen, Großinvestoren wie MFE und die tschechische PPF bei Laune halten und das Geschäft ankurbeln.
Denn das maue Werbegeschäft drückte 2022 Gewinn und Erlöse. So sank der Umsatz um 7,4 Prozent auf 4,16 Milliarden Euro und der operative Gewinn fiel um fast 20 Prozent auf 678 Millionen Euro. Für 2023 peilt der Konzern einen stagnierenden Umsatz von 4,1 Milliarden Euro an, der um 150 Millionen Euro nach oben oder unten abweichen könne. Der operative Gewinn dürfte auf etwa 600 Millionen (plus/minus 50 Millionen) Euro sinken.
Zudem trennt sich ProSiebenSat.1 in gegenseitigem Einvernehmen von Finanzchef Ralf Gierig. Der 57-Jährige war seit über 20 Jahren beim Unternehmen und seit Anfang 2022 im Vorstand. Sein Nachfolger wird zum 1. Mai Martin Mildner (53), der zuletzt Finanzvorstand von United Internet war.
Nach gut 100 Tagen im Amt hatte Habets bereits ein größeres Problem auf dem Tisch: Es gab regulatorische Fragen zum Eventvermarkter Jochen Schweizer mydays, der Gutscheine für Erlebnisse wie Fallschirmsprünge oder Restaurantbesuche verkauft. Deshalb musste ProSiebenSat.1 seine Bilanz-Vorlage verschieben und wäre fast vorübergehend aus dem MDax geflogen. Unklar war, inwieweit Teile der Geschäfte von Jochen Schweizer und mydays unter das sogenannte Zahlungsdiensteaufsichtsgesetz (ZAG) fallen. Der Konzern passte deshalb das Produktangebot an – es gibt etwa keine Gutscheine mehr über 250 Euro. So kann das Geschäft ohne Erlaubnis der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) weiter betrieben werden.
Derzeit stimmt ProSiebenSat.1 Details mit der BaFin ab, um die Gutscheinprodukte abzuwickeln, die vor der Änderung ausgegeben wurden. Zugleich laufe eine externe Untersuchung durch eine Rechtsanwaltskanzlei, um “etwaiges Fehlverhalten aufzuklären”, erklärte der Fernsehkonzern. “Zudem hat die Staatsanwaltschaft München I einen Beobachtungsvorgang eingeleitet”, sagte Habets. Die Behörde habe von sich aus auf die Ankündigung von ProSiebenSat.1 reagiert, die Bilanz-Vorlage zu verschieben. Die Justiz-Behörde erklärte dazu, man führe ein sogenanntes Vorermittlungsverfahren. “Wir prüfen zunächst, welche Straftaten vorliegen könnten und ob sich hierzu überhaupt ein Anfangsverdacht begründen lässt.”
HABETS WARNT VOR “ERHEBLICHEN” BELASTUNGEN
Die Turbulenzen könnten ProSiebenSat.1 noch mehr Geld kosten. Die möglichen finanziellen Belastungen seien noch nicht abschätzbar, “könnten aber erheblich sein”, warnte Habets. Dies dürfte sich aber nicht auf die Jahresprognose 2023 auswirken.
Derweil übernimmt der Konzern weitere Teile von Jochen Schweizer. Man habe sich mit dem gemeinsamen US-Investor General Atlantic geeinigt, dessen Anteil an der Gutschein-Tochter für einen Euro zu übernehmen, sagte Habets. Somit halte ProSiebenSat.1 nun direkt 89,9 Prozent. Bis März 2025 könnten die Anteile von 10,1 Prozent des Mitgesellschafters Jochen Schweizer persönlich aufgrund einer Vereinbarung erworben werden. Entschieden sei hier noch nichts.
Ende März hatte der Konzern überraschend den Abbau von Arbeitsplätzen angekündigt. Habets sagte, man könne auch jetzt noch keine konkrete Zahl nennen. Noch im ersten Halbjahr sollte es hier mehr Klarheit geben.
(Bericht von Klaus Lauer, Mitarbeit: Daniela Pegna und Alexander Hübner. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)