Europäer reagieren skeptisch auf US-Vorstoß zu Ukraine

(Weitgehend neu)

– von Lili Bayer und Olena Harmash

Brüssel/Kiew (Reuters) – Deutschland und andere führende europäische Staaten haben sich am Donnerstag gegen einen von den USA unterstützten Friedensplan für die Ukraine gestellt, der weitreichende Zugeständnisse der Regierung in Kiew vorsieht.

Bundesaußenminister Johann Wadephul und auch die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas betonten bei einem Treffen der Ressortchefs in Brüssel, dass Verhandlungen nur unter Einbeziehung der Ukraine und Europas geführt werden könnten. Der Kreml reagierte zurückhaltend auf den US-Vorstoß und pochte auf die Beseitigung der “Ursachen des Konflikts”.

Die Nachrichtenagentur Reuters hatte am Mittwoch unter Berufung auf zwei mit der Angelegenheit vertraute Personen berichtet, die USA drängten die Ukraine zu Gebietsabtretungen als Voraussetzung für ein Ende des Krieges. Vorgesehen sei auch, dass die ukrainische Armee auf bestimmte Waffen verzichte und verkleinert werde. Demnach forderte die US-Regierung den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj auf, den von Washington entworfenen Rahmen zur Beendigung des Krieges zu akzeptieren. Das Weiße Haus lehnte eine Stellungnahme ab. Ein solcher Plan wäre ein herber Rückschlag für Kiew, das mit weiteren russischen Gebietsgewinnen in der Ostukraine und einem Korruptionsskandal konfrontiert ist.

In Brüssel waren sich die EU-Minister weitgehend einig. Wadephul betonte, die für 2026 angekündigte Erhöhung der deutschen Hilfen für die Ukraine um drei Milliarden Euro mache “politisch noch mal vollkommen klar, wo wir stehen”. Verhandlungen könne es nur geben, wenn der russische Präsident Wladimir Putin seinen Angriffskrieg beende. “Das kann nur mit der Ukraine besprochen und verhandelt werden, und da wird Europa einzubeziehen sein”, betonte Wadephul.

“SCHWIERIGE, ABER NOTWENDIGE ZUGESTÄNDNISSE”

Der französische Außenminister Jean-Noel Barrot warnte, ein Friedensplan dürfe nicht auf eine “Kapitulation” vor dem russischen Präsidenten Wladimir Putin hinauslaufen. Der polnische Außenminister Radoslaw Sikorski erklärte, Europa erwarte, bei jedem Friedensplan konsultiert zu werden, da die europäische Sicherheit auf dem Spiel stehe. Zudem dürfe die Verteidigungsfähigkeit der Ukraine nicht eingeschränkt werden. “Ich hoffe, nicht dem Opfer werden Beschränkungen bei seiner Verteidigungsfähigkeit auferlegt, sondern dem Aggressor.”

Grundlage der Diskussion ist ein 28-Punkte-Plan aus Washington, über den zuerst das Nachrichtenportal Axios berichtet hatte. Demnach soll die Ukraine Teile der Ostukraine an Russland abtreten – auch Gebiete, die Moskau derzeit nicht kontrolliert. Im Gegenzug würden die Ukraine und Europa eine US-Sicherheitsgarantie erhalten. US-Außenminister Marco Rubio erklärte, ein dauerhafter Frieden erfordere von beiden Seiten “schwierige, aber notwendige Zugeständnisse”.

Der Kreml erklärte, ein Abkommen müsse die “Ursachen dieses Konflikts” beseitigen. Sprecher Dmitri Peskow verwies auf das Gipfeltreffen zwischen Präsident Putin und US-Präsident Donald Trump im August in Anchorage und sagte: “Wir können dem, was in Anchorage gesagt wurde, nichts Neues hinzufügen.” Er bestätigte zwar “Kontakte” mit den USA, betonte jedoch, es fänden keine formellen Verhandlungen statt. Putin sieht die Ursachen des Krieges in der Ost-Erweiterung der Nato, die er als Demütigung Russlands betrachtet. Er fordert von der Ukraine den Verzicht auf eine Nato-Mitgliedschaft, Neutralität und eine nur begrenzte militärische Fähigkeit.

“KONKRETE UND EFFEKTIVE MASSNAHMEN”

Die diplomatischen Vorstöße kommen zu einem für Kiew äußerst kritischen Zeitpunkt. “Jeder weiß, dass der Winter, der der Ukraine bevorsteht, der schwierigste werden wird”, sagte Wadephul. Die ukrainischen Truppen sind an der Front in der Defensive, während Russland seine nächtlichen Angriffe auf Städte und Infrastruktur fortsetzt. Nach einem Raketeneinschlag in einen Wohnblock am Mittwoch werden den Behörden zufolge noch 22 Menschen vermisst, 26 seien tot. An der Front im Osten der Ukraine rückt die russische Armee langsam vor und steht kurz vor der Einnahme der strategisch wichtigen Stadt Pokrowsk.

Parallel zu den diplomatischen Auseinandersetzungen will die EU den wirtschaftlichen Druck auf Moskau erhöhen. Wadephul kündigte an, man werde das Thema der russischen “Schattenflotte” in den Mittelpunkt stellen. Diese umgehe die Sanktionen und konterkariere das Ziel, Putin an den Verhandlungstisch zu zwingen. Es müssten nun “konkrete und effektive Maßnahmen” getroffen werden, um dies zu unterbinden. Dies deckt sich auch mit der Politik von US-Präsident Trump, der zuletzt Sanktionen gegen die beiden größten russischen Ölkonzerne verhängt hatte.

Ungarn forderte dagegen mit Blick auf den Korruptionsskandal in der Ukraine, die Finanzhilfen für die Regierung in Kiew einzustellen. Außenminister Peter Szijjarto sagte in Brüssel: “Es gibt eine Kriegs-Mafia, ein korruptes System in der Ukraine.” Es sei daher “verrückt”, dass die EU-Kommission der Ukraine weitere 100 Milliarden Euro zukommen lassen wolle, anstatt die Zahlungen zu stoppen. Szijjarto bezog sich auf die Ermittlungen des ukrainischen Antikorruptionsbüros, demzufolge es um ein mutmaßliches Schmiergeldsystem im Volumen von rund 87 Millionen Euro geht, in das hochrangige Beamte des Energiesektors verwickelt sein sollen.

(Bearbeitet von Alexander Ratz; Redigiert von Sabine Ehrhardt; Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)

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