Merz und Macron blasen zur digitalen Aufholjagd

– von Andreas Rinke

Berlin (Reuters) – Deutschland und Frankreich wollen die digitale Aufholjagd hinter den USA und China anführen.

Sowohl Kanzler Friedrich Merz als auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron warnten am Dienstag auf dem Digitalgipfel in Berlin, dass Europa sonst zum Spielball der beiden Supermöchte werde. Merz sprach sich nicht nur dafür aus, EU-Regulierung auch auf große US-Cloud-Anbieter anzuwenden, sondern kündigte auch gemeinsame deutsch-französische Richtlinien für Digital-Aufträge beider Verwaltungen an.

Merz verwies auf Unregelmäßigkeiten bei US-Cloud-Anbietern und die chinesischen Lieferengpässe bei Chips. “Diese Störungen zeigen: Wir sind abhängig von digitalen Technologien, sowohl aus China als auch aus den Vereinigten Staaten von Amerika.” Er und der Präsident betonten, dass man bei Schlüsseltechnologien von Künstlicher Intelligenz über Quantentechnologie und Cloud-Computing bis hin zur Mikroelektronik aufholen müsse. Auch die Bundeswehr müsse in der Lage sein, sich gegen Cyberangriffe zu verteidigen. Macron warnte zudem davor, dass die Europäer ihre Kinder täglich vier bis fünf Stunden in die Verantwortung von US-amerikanischen oder chinesischen Plattform-Anbietern geben würden, die nicht unbedingt das Wohl der Europäer im Auge hätten. Er sprach von einer “kognitiven Souveränität”.

APPELL AN EUROPAS STÄRKE AUF KONFERENZ

An der deutsch-französischen Konferenz nahmen nach Angaben von Digitalminister Karsten Wildberger Vertreter aus 23 EU-Staaten sowie viele Firmen teil. “Der Zug ist nicht abgefahren”, betonte der CDU-Politiker mit Blick auf die Nutzung der Künstlichen Intelligenz. Er verwies darauf, dass die Schwarz-Gruppe im brandenburgischen Lübbenau eine Investition von elf Milliarden Euro in Rechenzentren bekanntgegeben hatte. Der erste Bauabschnitt des “Schwarz Digits Datacenter” mit drei Modulen soll bis Ende 2027 fertiggestellt werden.

Das Rechenzentrum ist Teil der Bewerbung um eine der europäischen KI-Gigafactories – also besonders leistungsstarken Rechenzentren, die die EU mit Milliardenbeträgen fördern will. Die Pläne der Schwarz-Digits gehen damit deutlich über die Investition von fünf Milliarden Euro hinaus, die der US-Konzern Google in Deutschland gerade angekündigt hatte.

“BRAUCHEN HUNDERTE MILLIARDEN”

Sowohl Merz, Macron, Wildberger als auch der französische Wirtschafts- und Finanzminister Roland Lescure pochten auf eine schnelle Vollendung des EU-Kapitalmarktes. Dafür brauche man jedes Jahr Hunderte Milliarden Euro. Geld sei in der EU zwar verfügbar, fließe aber immer noch zu einem großen Teil in den US-Finanzmarkt statt europäische Firmen zu finanzieren, sagte Lescure. Auch Wildberger betonte, wie wichtig es sei, dass Startups sich in Europa finanzieren könnten und nicht auf den US-Markt ausweichen müssten.

Umstritten ist das Maß an Regulierung, das nötig ist, um Innovation zu ermöglichen, aber den Wettbewerbsnachteil gegenüber US-Anbietern auszugleichen. Lescure forderte klare Vorschriften, was eigentlich souveräne Angebote in Bereichen wie Daten-Clouds ausmache. Ausdrücklich setzte sich Merz dafür ein, US-Anbieter bei Daten-Clouds EU-Regeln zu unterwerfen. “Ich begrüße ausdrücklich, dass der Digital Markets Act auch auf große Cloud-Anbieter anwendbar sein soll, sobald sie als sogenannte Gatekeeper eingestuft sind”, betonte er. Dies bringe europäische Cloud-Anbieter leichter in den Markt.

Gleichzeitig kritisierte auch Macron, dass die EU die Regulierung im KI-Bereich überzogen habe. “Wir müssen Dinge erst einmal erfinden, bevor wir sie regulieren”, mahnte er. Die französische Digitalministerin Anne Le Hénanff sagte, dass die Regierung in Paris bereit sei, die Anwendung des europäischen KI-Acts zur Regulierung der Branche für ein Jahr auszusetzen.

Merz kündigte an, dass der Staat sogenannter Ankerkunde europäischer Digitalanbieter werde und unter anderem Software von US-Firmen ersetzen werde. Erste Behörden wie das Robert-Koch-Institut seien bereits umgestiegen. Auch im Bundeskanzleramt würden Komponenten aus OpenDesk, also offener Software, genutzt. Der Kanzler kündigte an, dass Deutschland und Frankreich gemeinsame Kriterien für die Beschaffung souveräner digitaler Dienste entwickeln wollen. Die französische Digitalministerin betonte, dass europäischen Produkten eine Präferenz gegeben werden sollte.

Sowohl Merz als auch Macron verwiesen darauf, dass die EU mit dem Binnenmarkt und 450 Millionen Konsumenten, vielen Experten und Wissenschaftsorganisationen eigentlich sehr gut für die Aufholjagd gegenüber den USA und China aufgestellt sei.

(Reporter: Andreas Rinke und Hakan Ersen, redigiert von Hans Busemann. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

tagreuters.com2025binary_LYNXMPELAH0YA-VIEWIMAGE

tagreuters.com2025binary_LYNXMPELAH0YB-VIEWIMAGE

tagreuters.com2025binary_LYNXMPELAH0YE-VIEWIMAGE