Regierung gibt bei Bürokratieabbau Gas – Wirtschaft dringt auf mehr Tempo

Berlin (Reuters) – Erstmals hat ein Bundeskabinett schwerpunktmäßig keine neuen Gesetze beschlossen, sondern sich vor allem mit Maßnahmen zum Abbau bestehender Regulierungen beschäftigt.

In der Sitzung am Mittwoch legte Digitalminister Karsten Wildberger einen umfassenden Bericht zu Schritten der Entbürokratisierung vor, der 50 konkrete Projekte enthält. Nach Berechnung der Regierung wurden durch erste Maßnahmen der Ministerien bereits Einsparungen von drei Milliarden Euro in den ersten sechs Monaten der schwarz-roten Koalition erreicht. Allerdings zeigten sich sowohl die Wirtschaft als auch die Regierungsberater vom Normenkontrollrat unzufrieden. Die Koalition habe sehr viel angekündigt, dem stehe bisher aber wenig gegenüber, was schon tatsächlich umgesetzt und für die Unternehmen spürbar sei, kritisierte etwa der Industrieverband BDI.

Im schwarz-roten Koalitionsvertrag war festgelegt worden, dass die Wirtschaft bis zum Ende der Legislaturperiode um 25 Prozent der Bürokratiekosten entlastet wird, was mit 16 Milliarden Euro beziffert wird. Kanzler Friedrich Merz hatte am Montag angekündigt, dass er ab jetzt regelmäßige Kabinettssitzungen zum Bürokratieabbau möchte – “möglicherweise bis zu einmal im Quartal”.

Zu den 50 Maßnahmen gehören etwa schlankere Planungs- und Genehmigungsverfahren für Verkehrswege. So soll eine Anpassung des Bauvertragsrechts für weniger Vorgaben sorgen, um Bauen schneller und billiger zu machen. Beim Arbeitsschutz wird etwa die Schwelle der Unternehmensgrößen für die nötige Benennung eines Sicherheitsbeauftragten erhöht: Weil die Vorschrift erst ab 250 (bisher 50) Mitarbeitern greift, werden nach Angaben der Regierung mehr als 120.000 Beauftragte überflüssig. “Nach dem Entlastungskabinett beginnt die Phase der Umsetzung – entschlossen, sorgfältig und gemeinsam”, sagte Digitalminister Wildberger zur Kabinettssitzung. Die Regierung habe nun einen konkreten Plan für langfristigen Bürokratierückbau.

Auch Vizekanzler Lars Klingbeil (SPD) bekannte sich zum Abbau von Regularien: “Wir wollen, dass es für Unternehmen leichter wird, zu wachsen und zu investieren. Deshalb streichen wir unnötige Prüf-, Melde- und Anzeigenpflichten, ohne dabei Abstriche bei Verbraucher- und Anlegerschutz zu machen”, teilte der Finanzminister mit.

Der BDI zeigte sich dennoch nicht zufrieden. Der Bundesverband der Deutschen Industrie hatte eine Liste mit 250 Vorschlägen für den Bürokratieabbau vorgelegt. Ohne explizite Rückendeckung von Merz und Klingbeil drohe die Modernisierungsagenda auf den Schreibtischen in den einzelnen Ministerien liegen zu bleiben, warnte BDI-Hauptgeschäftsführerin Tanja Gönner. “Vorschläge aus der Praxis liegen zu Hunderten auf dem Tisch.”

In der Wirtschaft gibt es erhebliches Misstrauen: “Jede Regierung kündigt ihn an, keine zieht ihn durch”, sagte etwa der Hauptgeschäftsführer des Chemieverbands VCI, Wolfgang Große Entrup. Die Wirtschaft verliere deswegen die Geduld. “Der Bürokratieinfarkt ist nahe.” Es gebe zu viele Formulare, Nachweispflichten und Absurditäten. “Die Regulierungsflut aus Berlin und Brüssel ist für unsere Branche das Schlimmste am Standort – noch vor Energiepreisen und Steuern.”

Während Digitalminister Wildberger die Zusammenarbeit mit den anderen Ministerien lobte, kam Kritik auch vom Normenkontrollrat. Das unabhängige Beratergremium der Bundesregierung sprach von nur rund 100 Millionen Euro Entlastung, mit denen gerechnet werden könne. “Im Vergleich zu anderen Kabinettssitzungen dieser Legislaturperiode ist dies eher ein durchschnittliches Ergebnis”, so Lutz Goebel, der Vorsitzende des Normenkontrollrats. “Die Ursachen für diese vergleichsweise geringe Wirkung liegen unter anderem darin, dass nicht alle Ressorts ausreichend zugeliefert haben – teils mit Verweis auf bereits beschlossene Entlastungsmaßnahmen aus früheren Kabinettssitzungen oder auf Initiativen, die noch in der Vorbereitung sind.”

(Bericht von Andreas Rinke, Christian Krämer; redigiert von Christian Götz. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)