– von Andreas Rinke
Ankara (Reuters) – Deutschland und die Türkei wollen trotz grundlegender Differenzen beim Thema Demokratie und Israel enger zusammenarbeiten.
Bundeskanzler Friedrich Merz sprach sich bei seinem Antrittsbesuch in Ankara am Donnerstag dafür aus, einen “strategischen Dialog” zu beginnen. Dafür gebe es “zwingende Gründe”, fügte er in einer Pressekonferenz mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan hinzu und verwies auf die neue geopolitische Lage. Erdogan betonte dagegen, dass die Türkei möglichst schnell EU-Mitglied werden wolle. Merz verwies darauf, dass das Land dafür aber nicht die nötigen Rechtsstaatskriterien der EU erfülle.
Der Antrittsbesuch war mit Spannung erwartet worden, weil der Nato-Partner Türkei geopolitisch zuletzt eine größere Rolle spielte, Erdogans verschärftes Vorgehen gegen die innenpolitische Opposition aber für Kritik sorgt. In der gemeinsamen Pressekonferenz zeigten sich auch Differenzen etwa im Umgang mit Israel. So betonten Merz und Erdogan zwar beide, dass man sich für die Umsetzung des Friedensplans für den Gazastreifen einsetzen wolle. Die Türkei hat hierbei erheblichen Einfluss auf die Hamas. Erdogan warf Israel bei einem gemeinsamen Auftritt aber erneut vor, einen “Völkermord” im Gazastreifen verübt zu haben. Er frage sich, ob Deutschland nicht sehe, dass die israelische Armee weiter Ziele im Gazastreifen angreife. Israel habe nach dem Hamas-Überfall am 7. Oktober 2023 das Recht auf Selbstverteidigung, betonte Kanzler Merz dagegen auf eine Frage, ob er diese Einschätzung teile.
BERLIN UND ANKARA SUCHEN ZUSAMMENARBEIT
Sowohl Erdogan als auch Merz betonten aber den Wunsch nach einer engeren Zusammenarbeit. Die Welt werde derzeit von der Politik großer Mächte geprägt, sagte der Kanzler in Anspielung auf die USA und China. Deshalb müssten Deutschland und die EU ihre strategischen Partnerschaften ausbauen. “Dabei führt kein Weg an einer guten und vertieften Partnerschaft mit der Türkei vorbei”, betonte der Kanzler, der bei seinem Antrittsbesuch von seiner Frau Charlotte begleitet wurde. “Wir wollen den Weg nach Europa weiter ebnen”, betonte der Kanzler. Er setze sich für einen entsprechenden strategischen Dialog auf europäischer Ebene ein.
Es gebe bereits ein starkes Fundament mit der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verflechtung, betonte der Kanzler mit Blick etwa auf die große türkischstämmige Community in Deutschland. Zudem seien beide enge Sicherheitspartner in der Nato.
Man könne sicherheitspolitisch enger zusammenarbeiten, etwa durch die Beschaffung von 20 Eurofighter-Kampfflugzeugen durch die Türkei. Für den am Montag von Großbritannien unterzeichneten Deal hatte die Bundesregierung zuvor die Exportgenehmigung für das gemeinsam in Europa produzierte Flugzeug gegeben. Man habe aber auch ausführlich über eine engere Zusammenarbeit bei Verkehr und Verkehrsinfrastruktur sowie dem Ausbau des Schienenverkehrs gesprochen, sagte Merz. Erdogan regte vor allem eine engere Zusammenarbeit in der Rüstungsindustrie an. Hier gebe es “sehr umfangreiche Kooperationsmöglichkeiten”.
Der türkische Präsident wiederholte zudem sein Ziel eines EU-Beitritts. “Wenn die Entschlossenheit, die die Türkei in dieser Frage an den Tag legt, von der Europäischen Union angemessen gewürdigt wird, können wir in sehr kurzer Zeit erhebliche Fortschritte erzielen”, sagte er.
MERZ KRITISIERT VORGEHEN GEGEN OPPOSITION
Allerdings zeigten sich bei dem gemeinsamen Auftritt auch Differenzen. So betonte der Kanzler, dass die Türkei für eine EU-Annäherung auch Rechtsstaatsreformen vorantreiben müsse. Derzeit erfülle die Türkei nicht die sogenannten Kopenhagener Kriterien. “Es sind in der Türkei Entscheidungen getroffen worden, die noch nicht den Ansprüchen genügen im Hinblick auf Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, so wie wir sie aus der europäischen Sicht verstehen”, sagte Merz auf die Frage nach dem inhaftierten Istanbuler Bürgermeister Ekrem İmamoğlu, einem innenpolitischen Konkurrenten Erdogans. Dieser wies Vorwürfe zurück und sagte, dass die Justiz bei Vorwürfen wie Korruption handeln müsse. Die türkische Opposition wirft dem Präsidenten dagegen vor, massiv gegen sie vorzugehen.
Merz hatte bei seinem Antrittsbesuch am Mittwochabend zunächst Vertreter der türkischen Zivilgesellschaft getroffen. Details wurden nicht bekannt. Am Donnerstag legte er am Mausoleum für den Gründer der modernen Türkei, Mustafa Kemal Atatürk, einen Kranz nieder. Anschließend traf er sich mit Wirtschaftsvertretern. Dazu gehörten etwa Manager von Bosch, Siemens, BASF, Mercedes, Siemens Healthineers, der Allianz und der Zorlu Holding.
(Mitarbeit: Tuvan Gumrukcu, redigiert von Sabine Ehrhardt. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)











