Netanjahu rechnet vor UN mit Westen ab – “Ihr knickt ein”

– von Doyinsola Oladipo und Matt Spetalnick

New York (Reuters) – Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat am Freitag westliche Staaten scharf für deren Anerkennung eines Palästinenserstaates kritisiert und ihnen vorgeworfen, unter dem Druck von Aktivisten einzuknicken.

In einer kämpferischen Rede vor der UN-Vollversammlung schwor Netanjahu, den Krieg gegen die radikal-islamische Hamas im Gazastreifen fortzusetzen, bis die Miliz ausgeschaltet sei oder ihre Waffen niedergelegt habe. An die noch im Gazastreifen festgehaltenen israelischen Geiseln gerichtet sagte er auf Hebräisch: “Wir haben euch nicht vergessen – nicht eine Sekunde lang.”

Als Netanjahu die Generalversammlung der Vereinten Nationen betrat, verließen zahlreiche Delegationen den Saal, andere Anwesende auf der Tribüne spendeten ihm während seiner Rede mitunter stehend Beifall. Netanjahu warf führenden Politikern vor, dem Druck voreingenommener Medien und antisemitischer Mobs nachgegeben zu haben. “Wenn es hart auf hart kommt, knickt ihr ein.” Er nannte explizit die Staats- und Regierungschefs von Frankreich, Großbritannien, Australien und Kanada, die einen Palästinenserstaat “bedingungslos anerkannt” hätten. Dies sei nach den Gräueltaten der Hamas vom 7. Oktober geschehen, die von fast 90 Prozent der palästinensischen Bevölkerung gelobt worden seien.

Einen Palästinenserstaat nach dem Angriff vom 7. Oktober zu errichten, sei “purer Wahnsinn”, erklärte Netanjahu. Dies sei vergleichbar damit, Al-Kaida nach den Anschlägen vom 11. September einen Staat in der Nähe von New York zu geben. “Wir werden das nicht tun.” An westliche Staaten gerichtet sagte er: “Israel wird nicht zulassen, dass ihr uns einen Terrorstaat aufzwingt.” Die Palästinensische Autonomiebehörde bezeichnete er als “durch und durch korrupt”. Immer wieder habe sie gelobt, sich zu reformieren, doch diesen Worten seien niemals Taten gefolgt.

“LEGT DIE WAFFEN NIEDER”

Netanjahu zählte zudem die jüngsten militärischen Erfolge Israels auf, die der jüdische Staat auch zur Verteidigung westlicher Werte erreicht habe. Sein Land habe das Atomwaffen- und Raketenprogramm des Iran “zerstört”, die Hamas zerschlagen, die Hisbollah entscheidend geschwächt und die Huthi-Rebellen schwer getroffen. Damit habe Israel für den Westen die “Drecksarbeit” erledigt. An die Hamas richtete Netanjahu ein Ultimatum: “Legt die Waffen nieder, lasst alle Geiseln frei. Wenn ihr das tut, werdet ihr leben. Wenn nicht, wird Israel euch jagen.” Den Vorwurf des Völkermords wies er als haltlos zurück. Israel lasse die Menschen im Gazastreifen nicht hungern, sondern die Hamas stehle die Lebensmittel.

Einen Frieden mit Syrien und dem Libanon hält Netanjahu nach eigenen Worten für möglich. Ein Abkommen mit der neuen Regierung in Damaskus Syrien sei erreichbar, sagte er. Den Libanon rief er zu direkten Verhandlungen auf. Ein Sieg über die Hamas werde den Frieden mit Nationen in der gesamten arabischen und muslimischen Welt ermöglichen. Auch ein friedliches Zusammenleben mit der Bevölkerung des Iran sei möglich.

BAERBOCK SASS NICHT AUF DEM PODIUM

Bei dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 wurden israelischen Angaben zufolge rund 1200 Menschen getötet und 251 Geiseln in den Gazastreifen verschleppt. Derzeit befinden sich noch 48 Menschen in Geiselhaft, von denen jedoch nur etwa 20 als lebendig gelten. Bei der israelischen Militäroffensive als Vergeltung des Hamas-Massakers sind nach Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörden im Gazastreifen bislang mehr als 65.000 Menschen getötet worden. Der Internationale Strafgerichtshof hat einen Haftbefehl gegen Netanjahu wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen erlassen.

Trotz der zunehmenden internationalen Isolation behält Netanjahu die Unterstützung von US-Präsident Donald Trump. Dieser hatte jedoch am Donnerstag erklärt, er werde eine israelische Annexion des Westjordanlandes nicht zulassen. Dies könnte vor einem Treffen der beiden Politiker am Montag im Weißen Haus zu Spannungen führen. Netanjahus Büro teilte mit, seine Rede sei über Lautsprecher an der Grenze zum Gazastreifen in das Palästinensergebiet übertragen worden. Die Präsidentin der UN-Generalversammlung, die frühere Bundesaußenministerin Annalena Baerbock, saß während Netanjahus Rede nicht auf ihrem Podium.

(Weitere Reporter Michelle Nichols, Alexander Ratz; Redigiert von; Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)

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