Stimmung der Firmen überraschend eingetrübt: Merz verspricht Reformen

– von Reinhard Becker und Klaus Lauer und Andreas Rinke

Berlin (Reuters) – Die Stimmung in der deutschen Wirtschaft hat sich überraschend eingetrübt und dämpft damit die Hoffnung auf einen spürbaren Aufschwung.

Der Ifo-Geschäftsklimaindex sank im September auf 87,7 Zähler, nach 88,9 Punkten im August, wie das Münchner Ifo-Institut am Mittwoch zu seiner Umfrage unter rund 9000 Führungskräften mitteilte. Es war der erste Rückgang nach sechs Anstiegen des an den Finanzmärkten stark beachteten Frühindikators. Von der Nachrichtenagentur Reuters befragte Ökonomen hatten hingegen damit gerechnet, dass der Aufwärtstrend anhalten würde. Die Unternehmen waren jedoch weniger zufrieden mit den laufenden Geschäften und beurteilten ihre Aussichten merklich skeptischer. “Die Hoffnung auf wirtschaftliche Erholung erleidet einen Dämpfer”, sagte Ifo-Präsident Clemens Fuest.

Das Münchner Institut erwartet jedoch, dass die Wirtschaft im laufenden Sommerquartal und auch in den letzten drei Monaten des Jahres leicht wachsen wird – und zwar um je 0,2 Prozent: “Da ist jetzt nicht mehr viel drin”, konstatierte Ifo-Umfrageleiter Klaus Wohlrabe. Das Bruttoinlandsprodukt war im zweiten Quartal um 0,3 Prozent geschrumpft.

Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer spricht im Zusammenhang mit dem unerwarteten Stimmungsdämpfer von einer kalten Dusche: “Dass die Unternehmen weniger optimistisch in die Zukunft schauen, mag auch an der Enttäuschung darüber liegen, dass der erhoffte Neustart in der Wirtschaftspolitik wohl ausbleibt.” Das sieht auch Ifo-Experte Wohlrabe so. Der Index signalisiere die Enttäuschung der Unternehmen: “Die Politik liefert nicht”, sagte Wohlrabe im Reuters-Interview.

KANZLER: “ECHTE REFORMEN” NÖTIG

Bundeskanzler Friedrich Merz hat jedoch grundlegende Reformen im Blick, um den Sozialstaat und die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft zu erhalten. Unternehmen seien sehr besorgt um die Zukunftsaussichten und Arbeitsplätze, sagte der CDU-Vorsitzende in der Generaldebatte im Bundestag. “Deshalb müssen wir handeln, wir müssen es schnell tun.” Ohne “echte” Reformen lasse sich der Sozialstaat nicht aufrechterhalten. Bei früherer Gelegenheit hatte der Kanzler gesagt, der “Herbst der Reformen” sei längst eingeleitet. Und auch im kommenden Jahr werde weiter daran gearbeitet, das Land zum Besseren zu verändern. Merz hat für die Zukunft umfassende Reformen bei der Rente, dem Gesundheitssystem und dem Bürgergeld in Aussicht gestellt.

Der hiesigen Wirtschaft fehlt es derzeit aus Sicht des Ifo allerdings an Eigendynamik. Ohne Strukturreformen gebe es keine echte Erholung, sagte Wohlrabe: “Auf unserer glorreichen wirtschaftlichen Vergangenheit kann man keinen neuen Aufschwung aufbauen.” IWH-Vizepräsident Oliver Holtemöller, dessen Institut an der am Donnerstag anstehenden Gemeinschaftsdiagnose (GD) für die Bundesregierung beteiligt ist, äußerte sich jüngst skeptisch: “Wir haben keinen normalen Aufschwung vor uns. Wir krebsen uns von unten an ein immer schwächer werdendes Produktionspotenzial heran.” Das Bruttoinlandsprodukt je Einwohner sei fast drei Prozent niedriger als 2019.

ÖKONOMEN DRINGEN AUF STRUKTURREFORMEN

Laut Holtemöller werden die führenden Institute bei der Vorstellung ihres Herbstgutachtens einen Zwölf-Punkte-Plan zu Strukturreformen vorlegen. Die Aussichten für das Gesamtjahr sind mau: Die führenden Forschungsinstitute sagen der deutschen Wirtschaft Insidern zufolge in diesem Jahr nur ein Mini-Wachstum voraus. Das BIP werde voraussichtlich um 0,2 Prozent zulegen, wie Reuters von mehreren mit der Sache vertrauten Personen erfuhr. Im nächsten Jahr sollte es dank mehr staatlicher Ausgaben aus dem Infrastrukturprogramm spürbar stärker bergauf gehen – mit einem BIP-Anstieg von 1,3 Prozent und 2027 mit plus 1,4 Prozent. Bundesfinanzminister Lars Klingbeil hat für das Jahr 2026 Rekordinvestitionen von 126,7 Milliarden Euro angekündigt. Damit wolle die Regierung für mehr Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit und sichere Arbeitsplätze sorgen.

(Bericht von Reinhard Becker, Klaus Lauer, Andreas Rinke und Frank Siebelt, redigiert von Kerstin Dörr. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)

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