Berlin (Reuters) – Börsianer blicken trotz der Konjunkturflaute überraschend optimistisch auf die deutsche Wirtschaft.
Das Barometer für die Konjunkturaussichten in den kommenden sechs Monaten stieg im September um 2,6 auf 37,3 Punkte. Das teilte das Mannheimer Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) am Dienstag zu seiner Umfrage unter 182 Investoren und Analysten mit. Von der Nachrichtenagentur Reuters befragte Ökonomen hatten dagegen einen Rückgang auf 26,3 Punkte erwartet. Im August war der an den Finanzmärkten stark beachtete Indikator infolge des Zollabkommens zwischen den USA und der EU eingebrochen.
“Die Konjunktur erholt sich – die Frage ist nur, wie schnell”, sagte der Deutschland-Chefvolkswirt von Deutsche Bank Research, Robin Winkler. Das ZEW warnt vor übertriebenem Optimismus. “Die Risiken sind weiterhin beachtlich”, sagte dessen Präsident Achim Wambach. “Denn die Unsicherheit bezüglich der US-amerikanischen Zollpolitik sowie des deutschen ‘Herbsts der Reformen’ bleibt bestehen.” Seit dem 7. August gilt ein Zollsatz von 15 Prozent für die meisten Warenexporte aus der Europäischen Union in die USA. Diesen hatte US-Präsident Donald Trump Ende Juli mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ausgehandelt. Trotz der hohen Zollhürde verbesserten sich dem ZEW zufolge “die Aussichten für exportorientierte Branchen, die zuletzt einen Einbruch erlebt haben”. Am meisten profitieren demnach die Automobilbranche sowie die Chemie- und Pharmaindustrie.
“DUNKLE WOLKEN”
Die aktuelle Konjunkturlage wird von den Börsianern dagegen erneut schlechter bewertet. Dieses Barometer sank um 7,8 auf minus 76,4 Punkte. Ökonomen hatten hier nur einen Rückgang auf minus 75,0 Zähler prognostiziert. “Über dem Wirtschaftswachstum stehen auf kurze Sicht damit weiter dunkle Wolken”, sagte dazu der Chefvolkswirt der Hauck Aufhäuser Lampe Privatbank, Alexander Krüger. “Solange sich die Rahmenbedingungen hierzulande nicht ändern, werden Konjunkturhoffnungen wohl eher verpuffen.” Die Weltwirtschaft könnte das verhindern, wäre sie durch Zölle und Geopolitik derzeit nicht so sehr gebeutelt.
Führende Institute haben ihre Herbstprognose für Europas größte Volkswirtschaft gesenkt. Das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) etwa rechnet für das laufende Jahr nur noch mit einem Mini-Wachstum von 0,1 Prozent in Deutschland, nachdem im Juni noch 0,3 Prozent geschätzt worden waren. Für 2026 wurde die Prognose von 1,6 auf 1,3 Prozent gestutzt. “Die Triebkräfte für einen selbsttragenden Aufschwung sind weiterhin schwach”, sagte IfW-Konjunkturchef Stefan Kooths. “Ohne ambitionierte Strukturreformen dürften die fiskalischen Impulse über konjunkturelle Strohfeuereffekte kaum hinauskommen.”
(Bericht von Rene Wagner, redigiert von Kerstin Dörr und Christian Götz. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)