Ökonomen mit Lob und Kritik für Industriestrompreis und Ticketsteuer

Berlin (Reuters) – Die Beschlüsse der schwarz-roten Koalition zum Industriestrompreis und zur Senkung der Ticketsteuer im Flugverkehr stoßen bei Ökonomen auf ein geteiltes Echo.

“Die Entscheidungen des Koalitionsausschusses scheinen von Lobbyinteressen getrieben und sind schlecht für die deutsche Wirtschaft”, sagte der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, am Freitag der Nachrichtenagentur Reuters. “Der Industriestrompreis geht zulasten der großen Mehrheit der deutschen Unternehmen, die letztlich höhere Energiekosten werden zahlen müssen.”

Die Koalitionsspitzen hatten sich am Donnerstagabend auf einen Industriestrompreis von rund fünf Cent geeinigt, der energieintensiven Unternehmen im internationalen Wettbewerb helfen soll. “Die Einführung eines Industriestrompreises ist ordnungspolitisch unsauber, aber vertretbar”, sagte dagegen der Finanzexperte des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), Friedrich Heinemann. Energieintensive Produktionen würden derzeit im großen Stil aus Deutschland weg verlagert. “Hier besteht Handlungsbedarf.” Allerdings dürfte eine subventionierte Preissenkung nur als Notlösung für den Übergang betrachtet werden. Auf Dauer müssten die Kosten der Energiewende sinken. “Vorrangig ist hier neben dem Verzicht auf unnötige Regulierung ein smartes Stromnetz mit regionalen Preisunterschieden”, sagte ZEW-Experte Heinemann.

Ähnlich sieht das der Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW), Moritz Schularick. “Das Ziel einer Senkung der Stromkosten ist richtig”, sagte er. “Aber Angebotsausweitung und Strompreiszonen wären die bessere Antwort als neue Subventionen.” Regionale Preisunterschiede können Experten zufolge Investitionsanreize für Stromerzeugung und -speicherung schaffen.

“GESCHENK FÜR BESSERVERDIENER”

Geeinigt haben sich Union und SPD zudem darauf, die Luftverkehrsabgabe zu senken und die Branche damit um rund 350 Millionen Euro zu entlasten. Hier gehen die Meinungen der Experten auseinander. “Die Absenkung der Ticketsteuer im Flugverkehr ist ein fatales Signal und unterstreicht, dass die Bundesregierung noch immer nicht die Dringlichkeit zielgerichteter Wirtschaftspolitik verstanden hat und sie sich von Lobbyinteressen vereinnahmen lässt”, kritisierte Fratzscher. “Diese Maßnahme ist letztlich ein Geschenk für Besserverdiener und bedeutet eine Umverteilung von Arm zu Reich.”

ZEW-Experte Heinemann hält die Maßnahme dagegen für sinnvoll. So unterliege der innereuropäische Flugverkehr bereits dem europäischen Emissionshandel. Hier würden Emissionen von Treibhausgasen schon einem Preis unterworfen, daher sei ein Zusatzpreis über die Ticketsteuer kaum sinnvoll. Anders liege der Fall für die Interkontinentalflüge, die nicht dem Emissionshandel unterliegen. Hier könne eine Luftverkehrsabgabe in der Theorie sinnvoll sein. “In der Realität hilft es dem Klima aber auch nicht, wenn der Flieger von Paris statt von Frankfurt abhebt”, sagte Heinemann. Für den Interkontinentalverkehr wäre daher eine europäisch harmonisierte Abgabe wünschenswert.

Vereinbart wurde auch eine Kraftwerksstrategie zum Bau neuer Gaskraftwerke. 2026 sollen acht Gigawatt Leistung ausgeschrieben werden, die bis 2031 in Betrieb gehen sollen. “Deregulierung im Flugverkehr und Kraftwerkstrategie gehen in die richtige Richtung, sind aber keine Gamechanger”, sagte IfW-Präsident Schularick.

Die Koalitionsspitzen einigten sich außerdem auf einen Deutschlandfonds. Dieser soll als “Andockstelle für privates Kapital” dienen, um neben den bereits auf den Weg gebrachten öffentlichen Investitionen private Gelder zu mobilisieren. Die Ausgestaltung des Deutschlandfonds sei eine gute Entscheidung, sagte Fratzscher. “Allerdings bleibt die Bundesregierung wichtige Details, wie die Höhe der öffentlichen Gelder, schuldig.”

(Bericht von Rene Wagner, redigiert von Kerstin Dörr – Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)

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