Digital statt Medizin: Siemens soll ohne Healthineers stärker wachsen

– von Alexander Hübner

München (Reuters) – Siemens will nach dem Ausstieg aus der Medizintechnik in den nächsten Jahren stärker wachsen als bisher.

“Mit unserem ‘One Tech Company’-Programm treten wir in die nächste Wachstumsphase ein und erhöhen unsere mittelfristige Ambition für das Umsatzwachstum auf eine Bandbreite von sechs bis neun Prozent”, kündigte Vorstandschef Roland Busch am Donnerstag an. Zuletzt hatte der Münchner Technologiekonzern fünf bis sieben Prozent Wachstum angepeilt. Im abgelaufenen Geschäftsjahr stieg der Umsatz währungsbereinigt um fünf Prozent.

Siemens will die Mehrheitsbeteiligung an der Medizintechnik-Tochter Siemens Healthineers nach und nach von derzeit 67 auf weniger als 20 Prozent eindampfen. “Beide Unternehmen haben sich weiterentwickelt”, sagte Busch. Die Medizintechnik habe wenig Überschneidungen mit dem Siemens-Kerngeschäft. “Mit der Abgabe der Kontrollmehrheit fokussieren wir uns auf ein hochgradig synergetisches Siemens-Portfolio.” Der Klinik-Sektor, von dem Healthineers abhängt, werde auf absehbare Zeit keine zweistelligen Wachstumsraten aufweisen, sagte Finanzvorstand Ralf Thomas. Siemens Healthineers peilt bisher fünf bis sechs Prozent Wachstum pro Jahr an.

Vorstandschef Busch setzt vielmehr auf das Digitalgeschäft, das sich bis 2030 auf 19 Milliarden Euro verdoppeln soll. Im Schnitt wären das 15 Prozent Zuwachs pro Jahr. Siemens werde in den nächsten drei Jahren gut eine Milliarde Euro in Künstliche Intelligenz (KI) investieren, kündigte er auf einem Kapitalmarkttag an.

Mit einem “One Tech”-Ansatz will Busch das Kerngeschäft rund um Industrieautomatisierung (Digital Industries), Gebäude- und Infrastrukturtechnik (Smart Infrastructure) und Züge (Mobility)intern enger verzahnen – im Vertrieb, bei der Nutzung von Daten oder der Entwicklung von Software, wo jede Sparte bisher meist ihr eigenes Süppchen kocht. Das bereinigte Ergebnis je Aktie soll in den nächsten Jahren stärker zulegen als der Umsatz: um einen hohen einstelligen Prozentsatz pro Jahr.

AUSSTIEG BEI HEALTHINEERS “LANGWIERIGER PROZESS”

Anleger fanden die Pläne zu wenig ambitioniert, auch wenn Thomas von “sehr starken Zielen” sprach. Die Analysten der Deutschen Bank schrieben, die Aussichten für das neue Geschäftsjahr 2025/26 (Ende September) seien enttäuschend. Und der Ausstieg aus Siemens Healthineers sei ein langwieriger Prozess. Die Siemens-Aktie, die im Vorfeld auf ein Allzeithoch gestiegen war, gab am Donnerstag um fünf Prozent auf 237,80 Euro nach.

Am Mittwoch hatte der Siemens-Aufsichtsrat den Rückzug aus Siemens Healthineers abgesegnet. In einem ersten Schritt werde man den Aktienanteil von 67 auf rund 60 Prozent abschmelzen lassen, um Geld zur Finanzierung der Übernahmen der Softwarefirmen Altair und Dotmatics in die Kasse zu bekommen, deutete Finanzvorstand Thomas an. Danach sollen 30 Prozent der Healthineers-Anteile den Siemens-Aktionären in die Depots gebucht werden.

Einen solchen “Spin-off” gab es mit einem bereits börsennotierten Unternehmen in Deutschland noch nie. Das könnte sich deshalb noch bis 2027 hinziehen. “Wenn wir nicht überzeugt werden, dass das klappt, würden wir es nicht ankündigen”, sagte Thomas. Der Spin-off ist steuergünstiger als die Ausschüttung der Aktien als Sachdividende. Mittelfristig will Siemens die Beteiligung an Healthineers auf weniger als 20 Prozent senken.

Siemens-Healthineers-Chef Bernd Montag begrüßte den Rückzug: “Wir schätzen die Klarheit.” Der Erlanger Hersteller von MRTs, Computertomographen, Laborstraßen und Krebstherapien kann seinen Streubesitz damit mehr als verdoppeln und sein Gewicht im Leitindex Dax entsprechend ausbauen.

DIVIDENDE SOLL AUCH MITTELFRISTIG STEIGEN

Im Geschäftsjahr 2024/25 hat Siemens mit 10,4 Milliarden Euro den dritten Rekordgewinn in Folge erwirtschaftet. Das waren 16 Prozent mehr als ein Jahr zuvor. Operativ stand ein Ergebnis aus dem Industriegeschäft von 11,8 Milliarden Euro zu Buche, ein Zuwachs von drei Prozent. Der Umsatz stieg – getrieben von der Infrastruktur- und Gebäudetechnik – auf vergleichbarer Basis um fünf Prozent auf 78,9 Milliarden Euro, der Auftragseingang um sechs Prozent auf 88,4 Milliarden. “Unsere Strategie geht auf”, sagte Busch. “Wir wachsen, indem wir die reale und die digitale Welt miteinander verbinden.”

Die Aktionäre sollen eine um 15 Cent auf 5,35 Euro erhöhte Dividende erhalten. In den nächsten Jahren soll sie auch dann steigen, wenn der Gewinn zurückgeht oder stagniert. Für 2025/26 rechnet Siemens erneut mit einem Gewinn je Aktie von 10,40 bis 11,00 Euro je Aktie, auf vergleichbarer Basis sei das aber mehr als im vergangenen Jahr (10,31 Euro), obwohl der schwache Dollar das Ergebnis drücke. “Das ist schwer zu verkraften”, sagte der Finanzvorstand. China erhole sich nur langsam.

Die Automatisierungs-Sparte soll nach einem Umsatzrückgang und Gewinneinbruch auf einen Wachstumskurs zurückkehren. Bisher springt der Markt aber noch nicht an. Der Stellenabbau dort ist aber noch nicht abgeschlossen. “Wir werden weiter an laufenden Kapazitätsanpassungen arbeiten, vor allem in unserem Automatisierungs-Geschäft”, kündigte Thomas an.

(Bericht von Alexander Hübner, redigiert von Sabine Wollrab. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

tagreuters.com2025binary_LYNXMPELAC08J-VIEWIMAGE