Bundesbank warnt vor Gefahr größerer Korrektur am Finanzmarkt

Frankfurt/Berlin (Reuters) – Die Risiken für das deutsche Finanzsystem sind laut der Bundesbank gestiegen.

Sie verweist auf geopolitische Spannungen, Handelskonflikte und zunehmende Staatsverschuldung. “Die deutsche Wirtschaft sieht sich strukturellen Herausforderungen gegenüber, und die hohen Bewertungsniveaus auf den Aktien- und Anleihemärkten bergen das Risiko größerer, plötzlicher Marktpreiskorrekturen”, warnte Bundesbankvorstandsmitglied Michael Theurer am Donnerstag bei der Vorstellung des Finanzstabilitätsberichts. Die exportorientierte deutsche Wirtschaft werde insbesondere von dem internationalen Zollkonflikt getroffen. “Die sprunghafte, protektionistische US-Handels- und Wirtschaftspolitik” belaste auch die Weltwirtschaft.

Die Risiken im Kreditgeschäft der deutschen Banken nehmen dem Bericht zufolge seit einiger Zeit zu und könnten im Zusammenhang mit den konjunkturellen und strukturellen Herausforderungen perspektivisch weiter steigen. Die Quote notleidender Kredite sei seit Ende 2022 kontinuierlich gestiegen. Anfangs war demnach vor allem der Gewerbeimmobiliensektor betroffen, inzwischen erfasst die konjunkturelle Schwäche weitere Sektoren – wenn auch in geringerem Maße.

Banken sind zudem Marktrisiken aus Anlagen in Staatsanleihen ausgesetzt für den Fall, dass sich deren Preise angesichts der hohen staatlichen Schuldenstände in Europa schlagartig ändern sollten. Theurer erklärte, zunehmende Staatsausgaben und eine wachsende Zinsbelastung beeinträchtigten die Schuldentragfähigkeit in einzelnen Ländern.

Das deutsche Bankensystem sei aufgrund seiner starken Vernetzung mit anderen europäischen Finanzsystemen anfällig für plötzliche Zinsanstiege bei Staatsanleihen anderer europäischer Länder. Theurer verwies darauf, dass der Anteil heimischer Staatsanleihen in den Bilanzen europäischer Banken, Versicherer und Fonds hoch sei, insbesondere in Spanien und Italien. Aufgrund der engen Verflechtung des deutschen Bankensystems mit anderen europäischen Finanzsystemen könnten Ansteckungseffekte zu zusätzlichen Verlusten bei hiesigen Geldhäusern führen.

ES BRAUT SICH ETWAS ZUSAMMEN

Theurer sagte, die Zinsausgaben im italienischen Haushalt könnten laut Projektionen von derzeit rund vier Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) bis Ende der 20er Jahre möglicherweise auf 6,5 Prozent des BIP steigen. In Frankreich könne es von zwei Prozent auf 4,5 Prozent hochgehen: Das seien Größen, die von den Anleihemärkten wahrscheinlich wahrgenommen würden. Dies zeige, dass es Handlungsbedarf gebe: “Konsolidierung ist das Stichwort.” Dies gelte nicht nur für Staaten im Euroraum, sondern auch für viele andere Industrie- und Schwellenländer weltweit.

Man dürfe sich nicht der Illusion hingeben, dass über Staatsverschuldung alle Probleme zu lösen seien. “Angesichts des demografischen Wandels, der strukturellen Veränderungen, der Wachstumsschwäche und der stark ansteigenden Refinanzierungsbedarfe und Zinsausgaben braut sich da eine Gesamtgemengelage zusammen, die erhebliche Risiken für die Finanzstabilität beinhaltet”, warnte Theurer. Dies müsse klar benannt werden.

Unlängst warnte die Notenbank in London mit Nachdruck vor Risiken für die globalen Finanzmärkte. Diese könnten einbrechen, wenn sich die Stimmung der Anleger hinsichtlich der Aussichten für Künstliche Intelligenz (KI) oder wegen Sorgen um die Unabhängigkeit der US-Notenbank Federal Reserve eintrübe, erklärte die Bank of England (BoE). Die Aktienbewertungen an den US-Märkten ähnelten in einigen Kennzahlen denen nahe dem Höhepunkt der Dotcom-Blase nach der Jahrtausendwende.

(Bericht von Reinhard Becker, Mitarbeit Balazs Koranyi, redigiert von Christian Götz. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

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