Frankfurt (Reuters) – Die Autoindustrie arbeitet mit Hochdruck gegen den drohenden Mangel an Chips infolge des Handelsstreits um den Hersteller Nexperia.
Bei Volkswagen und Mercedes-Benz hieß es dazu am Donnerstag, es werde nach alternativen Bezugsquellen gesucht, um Produktionsstopps wie während der Halbleiter-Krise in der Corona-Pandemie zu vermeiden. Im Volkswagen-Stammwerk Wolfsburg soll das einem Insider zufolge zumindest in der nächsten, durch den Feiertag am Freitag verkürzten Arbeitswoche gelingen. “Nach jetzigem Stand läuft die Produktion nächste Woche normal.” Wie es danach weitergehe, sei wegen der unsicheren Versorgungslage nicht absehbar.
“Wir haben einen alternativen Lieferanten, der den Lieferausfall der Nexperia-Halbleiter ausgleichen könnte”, sagte der Produktionschef der Marke VW, Christian Vollmer, dem “Handelsblatt”. Derzeit werde mit einem Unternehmen verhandelt, dessen Namen er nicht nennen wollte. Als alternative Anbieter wurden in Branchenkreisen Infineon, NXP oder Texas Instruments genannt. Mitten in den Turbulenzen wechselt bei VW das Management: Karsten Schnake ist ab 1. November neuer Beschaffungsvorstand. Der Skoda-Manager folgt auf Dirk Große-Loheide, der in Rente geht.
ABHÄNGIGKEIT VERRINGERN
Am Mittwoch hatte VW die Beschäftigten gewarnt, Folgen für die Produktion seien nicht auszuschließen. Kurzarbeit sei für das größte deutsche VW-Werk nicht beantragt, sagte der Insider weiter. Es liefen aber vorsorglich Gespräche mit der Bundesagentur für Arbeit, falls es doch notwendig werden sollte. Ein VW-Sprecher wollte sich dazu nicht äußern. Ein Sprecher der Volkswagen-Tochter Porsche sagte, die Produktion laufe derzeit wie geplant.
Hintergrund des Engpasses ist ein Konflikt um den niederländischen Chiphersteller Nexperia. Dieser gehört dem chinesischen Konzern Wingtech, der seit 2024 wegen angeblicher Risiken für die nationale Sicherheit auf einer schwarzen Liste der US-Regierung steht. Er produziert in Europa, verarbeitet die Chips aber in China weiter, so dass sie teils als Bestandteil von Bauteilen von dort exportiert werden. Auf Druck der USA übernahmen die Niederlande vor wenigen Tagen die Kontrolle bei Nexperia, woraufhin China den Export stoppte. Dies führt nun zu Lieferproblemen bei Halbleitern wie Dioden, Transistoren und Chips für das Batteriemanagement. Betroffen sind vor allem die Autoindustrie und der Maschinenbau.
Das Bundeswirtschaftsministerium beriet mit Branchenvertretern am Mittwochabend über die Lage. Dabei sei bekräftigt worden, dass die Bundesregierung im Konflikt zwischen China, den Niederlanden und den USA vermitteln wolle, berichtete das “Handelsblatt”. Außerdem wurde festgehalten, dass die Industrie mehr alternative Lieferanten braucht und mehr Halbleiter in Europa produziert werden müssen, um unabhängiger zu werden.
Dafür sprach sich auch der Top-Ökonom Jens Südekum aus. “Es sind noch mehr Investitionen in die Resilienz notwendig”, sagte der Berater von Bundesfinanzminister Lars Klingbeil (SPD) der Nachrichtenagentur Reuters. Das sei zuallererst die Aufgabe der Unternehmen. “Aber die Politik kann durchaus helfen”, sagte der Experte vom Düsseldorf Institute for Competition Economics. “Es zeigt sich, dass es trotz des Negativbeispiels Intel in Magdeburg wichtig bleibt, heimische Wertschöpfungsketten im Bereich der Halbleiterindustrie aufzubauen.” Trotz milliardenschwerer Subventionen hatte der US-Konzern den Bau einer Fabrik abgeblasen.
(Bericht von Ilona Wissenbach, Rene Wagner, Hakan Ersen, Che Pan und Wen-Yee Lee, redigiert von Ralf Banser. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an die Redaktionsleitung unter frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com)