Streit über Waffenruhe im Gazastreifen – Übergang Rafah noch dicht

– von Nidal al-Mughrabi und Alexander Cornwell

Kairo/Jerusalem (Reuters) – Israel öffnet den wichtigsten Grenzübergang des Gazastreifens – Rafah – vorerst nicht.

Die Regierung in Jerusalem teilte am Donnerstag mit, die Vorbereitungen zur Öffnung des Übergangs zwischen dem Palästinensergebiet und Ägypten würden zwar fortgesetzt, ein Datum wurde aber nicht genannt. Zugleich werfen sich Israel und die radikal-islamische Hamas gegenseitig Verstöße gegen die unter US-Vermittlung zustande gekommene Waffenruhe vor. Ein Streit über die Rückgabe der Leichen von israelischen Geiseln droht das Abkommen ebenso zu gefährden wie andere wichtige, noch ungelöste Teile des Plans, darunter die Entwaffnung der Hamas und die künftige Verwaltung des Gazastreifens.

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu betonte, sein Land werde alle Kriegsziele erreichen. Bei einer Gedenkfeier für gefallene Soldaten drohte er zudem, die Feinde Israels hätten gelernt, dass jeder, der die Hand gegen das Land erhebe, einen hohen Preis zahlen werde. Regierungssprecherin Schosch Bedrosian sagte, Israel halte sich an das Abkommen und fordere von der Hamas die Rückgabe der Leichen der verbliebenen 19 getöteten Geiseln. Die islamistische Gruppierung hat zehn Leichen übergeben, Israel zufolge gehörte jedoch eine davon nicht zu einer Geisel.

Die Hamas erklärte, sie habe alle Leichen übergeben, die sie in dem großflächig zerstörten Gebiet habe bergen können. Der bewaffnete Arm der Gruppe teilte mit, für die Übergabe weiterer Leichen sei die Einfuhr von schwerem Gerät und Baggern in die von Israel blockierte palästinensische Enklave erforderlich. Ein ranghoher Hamas-Vertreter warf Israel zudem vor, sich nicht an die Waffenruhe zu halten und seit Freitag mindestens 24 Menschen bei Schießereien getötet zu haben. Eine Liste der Verstöße sei den Vermittlern übergeben worden.

Das israelische Militär reagierte zunächst nicht auf die Vorwürfe. Zuvor hatte es erklärt, einige Palästinenser hätten Warnungen ignoriert, sich israelischen Stellungen zu nähern, woraufhin die Truppen das Feuer eröffnet hätten. Später am Donnerstag teilte das von der Hamas kontrollierte Gesundheitsministerium in Gaza mit, Israel habe 30 Leichen von im Konflikt getöteten Palästinensern freigegeben. Damit sei die Gesamtzahl der seit Montag erhaltenen Leichen auf 120 gestiegen.

“TROPFEN AUF DEN HEISSEN STEIN”

Die israelische Militärbehörde Cogat erklärte, die Abstimmung mit Ägypten über einen Termin für die Öffnung des Grenzübergangs Rafah für den Personenverkehr laufe. Der Übergang werde jedoch nicht für Hilfsgüter geöffnet, da dies nicht im Abkommen vorgesehen sei. Alle humanitären Güter würden über den von Israel kontrollierten Übergang Kerem Schalom geliefert. Angesichts einer Hungersnot in Teilen des Gazastreifens sagte der UN-Nothilfekoordinator Tom Fletcher am Mittwoch zu Reuters, dass wöchentlich Tausende von Hilfsfahrzeugen in das Gebiet fahren müssten. Die bislang genehmigten 600 Lastwagen seien eine gute Grundlage, aber bei weitem nicht genug. Der Leiter des Hamas-Medienbüros bezeichnete die Lieferungen als Tropfen auf den heißen Stein.

Der palästinensische Ministerpräsident Mohammad Mustafa sagte am Donnerstag, die von den westlichen Staaten unterstützte Palästinensische Autonomiebehörde (PA) werde mit internationalen Partnern zusammenarbeiten, um die sicherheitstechnischen, logistischen und finanziellen Herausforderungen in Gaza zu bewältigen. Die Hamas hatte die PA 2007 in einem kurzen Bürgerkrieg aus dem Gazastreifen vertrieben. Längerfristige Elemente des von der Regierung von US-Präsident Donald Trump ausgearbeiteten Plans, wie die Zusammensetzung einer internationalen Stabilisierungstruppe und Schritte zur Schaffung eines von Israel bislang abgelehnten Palästinenserstaates, sind noch nicht ausgehandelt.

Im Rahmen des Abkommens waren am Montag die 20 verbliebenen lebenden israelischen Geiseln im Austausch für Tausende in Israel inhaftierte Palästinenser freigekommen. Auslöser des Krieges war der Angriff der Hamas auf den Süden Israels am 7. Oktober 2023. Dabei wurden nach israelischen Angaben etwa 1200 Menschen getötet und 251 in den Gazastreifen verschleppt. Durch darauf folgende israelische Luftangriffe und Bodentruppeneinsätze sind nach Angaben der Gesundheitsbehörde in Gaza fast 68.000 Palästinenser getötet worden.

(Bericht von Nidal al-Mughrabi in Kairo, Alex Cornwell und Steven Scheer in Jerusalem; Bearbeitet von Alexander Ratz; Redigiert von Hans Busemann; Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)

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