Militär hat in Madagaskar Kontrolle übernommen

Antananarivo (Reuters) – In Madagaskar hat das Militär die Kontrolle an sich gerissen. “Wir haben die Macht übernommen”, sagte Oberst Michael Randrianirina von der Armee des Landes am Dienstag im nationalen Hörfunk.Alle Institutionen würden aufgelöst, mit Ausnahme des Unterhauses des Parlaments. Der 2023 wiedergewählte und ins Ausland geflohene Präsident Andry Rajoelina hatte kurz zuvor inmitten der seit Wochen anhaltenden Massenproteste das Parlament aufgelöst. Daraufhin stimmte das Parlament für seine Amtsenthebung – nur Minuten vor der Erklärung von Oberst Randrianirina. Die Eliteeinheit CAPSAT des Militärs hatte sich am Wochenende an die Seite der gegen Rajoelina protestierenden Menschen gestellt.

Auslöser der seit dem 25. September andauernden und von jungen Leuten angeführten Kundgebungen waren Wasser- und Stromknappheit. Die Demonstrationen weiteten sich rasch aus zu einer Protestbewegung gegen Korruption, schlechte Regierungsführung und mangelnde Grundversorgung.

Der 51-jährige Rajoelina hatte erklärt, mit der Auflösung des Parlamentes wolle er den Weg für Neuwahlen ebnen, die frühestens in 60 Tagen stattfinden könnten. “Die Menschen müssen wieder gehört werden. Es ist Zeit für die Jugend”, sagte Rajoelina. Noch am Montagabend hatte er sich von einem unbekannten Ort aus in einer Ansprache geweigert zurückzutreten. Er sei gezwungen gewesen, sich an einen sicheren Ort zu begeben, weil sein Leben in Gefahr gewesen sei, erklärte er. Einem Oppositionsvertreter, einem Insider des Militärs und einem ausländischen Diplomaten zufolge war der Präsident bereits am Sonntag an Bord eines französischen Militärflugzeugs aus dem Land geflohen.

Rajoelina geriet weiter in die Isolation, als er am Wochenende die Unterstützung der Eliteeinheit CAPSAT verlor. Diese schloss sich den Demonstranten an, übernahm die Führung des Militärs und ernannte einen neuen Armeechef. Auch die paramilitärische Gendarmerie und die Polizei sagten sich vom Präsidenten los.

Auch am Dienstag versammelten sich in der Hauptstadt Antananarivo Tausende Demonstranten auf dem Platz des 13. Mai. Sie tanzten und schwenkten Spruchbänder, auf denen Rajoelina wegen seiner doppelten Staatsbürgerschaft und der Unterstützung durch die ehemalige Kolonialmacht Frankreich als deren Marionette bezeichnet wurde. Der französische Präsident Emmanuel Macron erklärte, die verfassungsmäßige Ordnung müsse gewahrt bleiben. Die Anliegen der Jugend seien zwar verständlich, dürften aber nicht von militärischen Gruppen ausgenutzt werden.

Madagaskar mit seinen rund 30 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern zählt zu den ärmsten Ländern der Welt. Drei Viertel der Bevölkerung leben in Armut. Nach Angaben der Weltbank ist das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf von 1960, dem Jahr der Unabhängigkeit, bis 2020 um 45 Prozent gesunken. Das Durchschnittsalter der Bevölkerung des Inselstaates vor der südostafrikanischen Küste liegt bei unter 20 Jahren.

(Bericht von: Lovasoa Rabary, Tim Cocks, Giulia Paravicini; bearbeitet von Sabine Ehrhardt, redigiert von Hans Busemann.; Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte)

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