Lecornu legt Rentenreform inmitten tiefer Haushaltskrise auf Eis

Paris (Reuters) – Im Ringen um sein politisches Überleben will Frankreichs Premier Sebastien Lecornu die umstrittene Rentenreform auf Eis legen. In der Etatrede vor dem Parlament erklärte der Regierungschef am Dienstag, die Reform solle ausgesetzt werden. “Bis Januar 2028 wird es keine Erhöhung des Rentenalters geben”, sagte Lecornu und nannte damit einen Zeithorizont bis nach den regulär 2027 anstehenden Präsidentschaftswahlen in Frankreich. Der Premier hofft, genügend Abgeordnete aus dem Lager der Sozialisten für sich gewinnen zu können, um eine Niederlage bei einem drohenden Misstrauensvotum abzuwenden. Die Sozialisten hatten von Lecornu gefordert, die Reform definitiv auszusetzen. Präsident Emmanuel Macron hatte sie 2023 ohne Abstimmung im Parlament mit einem verfassungsrechtlichen Kniff durchgesetzt.

Eine der umstrittensten Änderungen war die schrittweise Erhöhung des Renteneintrittsalters von 62 auf 64 Jahre. Lecornu sagte, die Aussetzung der Reform werde 2026 insgesamt 400 Millionen Euro und 2027 dann 1,8 Milliarden Euro kosten. “Die Kosten müssen daher finanziell ausgeglichen werden, auch durch Sparmaßnahmen”, fügte er hinzu. Dies könne nicht auf Kosten eines höheren Defizits geschehen.

Sollte Lecornu diese Woche stürzen, hätte Macron nach Ansicht vieler Experten kaum mehr eine andere Wahl, als das Parlament aufzulösen und Neuwahlen auszurufen. Der 39-Jährige war von Macron erst kürzlich wiederernannt worden.

Sowohl die Linkspartei LFI als auch der rechtsgerichtete Rassemblement National (RN) haben eigene Misstrauensanträge eingereicht, über die am Donnerstagmorgen abgestimmt wird.

Der Fraktionschef der konservativen Republikaner, Laurent Wauquiez, signalisierte, dass seine Partei wohl nicht für einen Regierungssturz stimmen werde. Es sei besser, einen Haushalt auszuhandeln, als auf Neuwahlen zu setzen: “Es ist notwendig, Frankreich einen Etat zu geben”, sagte er und fügte hinzu, eine Verzögerung der Verabschiedung des Gesetzes würde das Defizit des Landes weiter verschärfen.

LECORNU WILL DEFIZIT BEGRENZEN

Es liegt derzeit deutlich über der in der EU erlaubten Obergrenze von drei Prozent der Wirtschaftsleistung und ist das größte in der Euro-Zone. Präsident Macron hat innerhalb von weniger als zwei Jahren fünf verschiedene Premierminister damit beauftragt, das Defizit zu senken und die Staatsfinanzen wieder ins Lot zu bringen. Lecornus Haushalt zielt darauf ab, das Defizit auf 4,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) zu begrenzen. Der als Kontrollorgan fungierende Oberste Rat für öffentliche Finanzen (HCFP) unter Leitung des ehemaligen EU-Kommissars Pierre Moscivici sieht darin nur eine leichte Verbesserung gegenüber den diesjährigen 5,4 Prozent. Der Plan basiert auf einer Haushaltskürzung von über 30 Milliarden Euro, darunter weniger Erleichterungen bei der Körperschaftsteuer und strengere Regeln für Sozialabgaben.

NOBELPREISTRÄGER HOFFT AUF KOMPROMISS

“Insgesamt wird die dem Obersten Rat vorgelegte Prognose zum öffentlichen Haushaltssaldo für 2026 durch ein optimistisches Wirtschaftsszenario und, was noch wichtiger ist, durch das Risiko geschwächt, dass die prognostizierten Einnahmen und Sparmaßnahmen nicht ausreichen oder sich überhaupt nicht materialisieren könnten”, kritisierte der HCFP.

Die Regierung prognostiziert für das kommende Jahr ein Wirtschaftswachstum von einem Prozent. Dabei wird eine stärkere private Nachfrage trotz strengerer Sparmaßnahmen angenommen

Seit Macrons Wiederwahl 2022 ist die politische Lage von Instabilität geprägt. Lecornu war erst am Freitag von Macron erneut zum Chef der Regierung ernannt worden. Lecornus vorheriges Kabinett hatte nur 14 Stunden bestanden. Der französische Ökonom Philippe Aghion, der zu den drei Wirtschaftsnobelpreisträgern 2025 gehört, ist in Sorge wegen der Etatkrise: “Ich hoffe auf einen Kompromiss, denn die Tragödie für Frankreich ist die politische Instabilität.”

(Bericht von Elzabeth Pineau, Gabriel Stargardter Leigh Thomas, Van Overstraeten and Hugh Lawson, geschrieben von Reinhard Becker, redigiert von Hans Busemann. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

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