Stockholm (Reuters) – Der Wirtschaftsnobelpreis geht in diesem Jahr an die drei Ökonomen Joel Mokyr, Philippe Aghion und Peter Howitt für ihre Erklärung von innovationsgetriebenem Wirtschaftswachstum. Die Königlich Schwedische Akademie der Wissenschaften teilte am Montag in Stockholm mit, der in den Niederlanden geborene Mokyr erhalte die eine Hälfte des mit elf Millionen schwedischen Kronen (rund eine Million Euro) dotierten Preises. Die andere Hälfte teilen sich der Franzose Aghion und der Kanadier Howitt.
Mokyr habe die Voraussetzungen für nachhaltiges Wachstum durch technologischen Fortschritt identifiziert, hieß es zur Begründung. Er habe anhand historischer Quellen gezeigt, dass für einen sich selbst tragenden Innovationsprozess nicht nur das Wissen nötig sei, dass etwas funktioniere, sondern auch die wissenschaftliche Erklärung, warum. Letzteres habe vor der industriellen Revolution oft gefehlt, was es schwierig gemacht habe, auf neuen Entdeckungen aufzubauen. Zudem habe er die Bedeutung einer Gesellschaft betont, die offen für neue Ideen ist und Veränderungen zulässt. Mokyr arbeitet an der Northwestern University im US-Bundesstaat Illinois.
PREISTRÄGER: EUROPA SOLLTE VON USA UND CHINA LERNEN
Aghion und Howitt erhielten den Preis für ihre Theorie des nachhaltigen Wachstums durch “schöpferische Zerstörung”. In einem Aufsatz von 1992 entwickelten sie dafür ein mathematisches Modell. Wenn ein neues und besseres Produkt auf den Markt kommt, geraten Firmen, die ältere Produkte verkaufen, ins Hintertreffen. Die Innovation sei schöpferisch, weil sie etwas Neues darstelle. Sie sei jedoch auch zerstörerisch, da das Unternehmen, dessen Technologie veraltet ist, aus dem Wettbewerb verdrängt werde. Im Zeitalter von Künstlicher Intelligenz sprechen Fachleute hier auch von “Disruption”, wenn also traditionelle und lange erfolgreiche Geschäftsmodelle den Anschluss verlieren und verschwinden.
Howitt, ist Professor an der Brown University im US-Bundesstaat Rhode Island. Aghion lehrt am Collège de France und der Hochschule INSEAD in Paris sowie an der London School of Economics and Political Science. Per Telefon zur Pressekonferenz nach der Ankündigung zugeschaltet, sagte Aghion, er sei immer noch sprachlos. “Ich habe das überhaupt nicht erwartet, daher fehlen mir die Worte, um auszudrücken, was ich fühle.” Im Streben nach Wirtschaftswachstum forderte er Europa auf, von den USA und China zu lernen, die seiner Meinung nach “Wege gefunden haben, Wettbewerb und Industriepolitik in Einklang zu bringen”.
ÖKONOM: SCHÖPFERISCHE ZERSTÖRUNG IM KI-ZEITALTER WICHTIG
“Die Arbeit der Preisträger zeigt, dass Wirtschaftswachstum keine Selbstverständlichkeit ist”, sagte John Hassler, Vorsitzender des Preiskomitees. “Wir müssen die Mechanismen aufrechterhalten, die der schöpferischen Zerstörung zugrunde liegen, damit wir nicht in die Stagnation zurückfallen.” Die Forschung der drei Ökonomen erkläre, wie Innovationen den Anstoß für weiteren Fortschritt geben. In den vergangenen zwei Jahrhunderten hat die Welt zum ersten Mal in der Geschichte ein anhaltendes Wirtschaftswachstum erlebt, wie die Akademie betonte. Dies habe viele Menschen aus der Armut geholt. Zuvor sei Stagnation die Norm gewesen.
“Der diesjährige Wirtschaftsnobelpreis unterstützt Europas Agenda für Wachstum und Wandel”, kommentierte Sascha Steffen, Professor für Finance an der Frankfurt School of Finance & Management. Die Preisträger seien dafür ausgezeichnet worden, die moderne “schumpeterianische” Wachstumstheorie entwickelt und untermauert zu haben. “Volkswirtschaften werden reicher, wenn Unternehmen kontinuierlich innovativ sind, Qualitätsstandards verbessern und – was entscheidend ist – kreative Zerstörung zulassen, um Kapital und Talente von alten Technologien auf neue umzuverteilen.” Dies sei heute wichtig. “Da sich das Produktivitätswachstum verlangsamt, setzt KI neue technologische Maßstäbe, und Europa muss massive Umstellungen bei Energie, Digitalisierung und Verteidigung finanzieren.”
Im vergangenen Jahr waren Daron Acemoglu und Simon Johnson vom Massachusetts Institute of Technology in Cambridge (MIT) sowie James A. Robinson von der Universität Chicago ausgezeichnet worden für Studien darüber, wie Institutionen entstehen und sich auf den Wohlstand auswirken. Der Nobelpreis der Wirtschaftswissenschaften wird erst seit 1969 verliehen. Er wird von der schwedischen Notenbank gestiftet. Sie trägt mit dem Preis der wachsenden Bedeutung wirtschaftlicher Fragen Rechnung.
(Bericht von Simon Johnson, Niklas Pollard, Johan Ahlander und Greta Rosen Fondahn in Stockholm; Mark John in London, geschrieben von Klaus Lauer und Reinhard Becker – Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)