Berlin (Reuters) – Die Bundesregierung rechnet erst ab nächstem Jahr mit einem spürbaren Wachstum der Wirtschaft.
Dies gehe aber bis 2027 vor allem auf die hohen staatlichen Ausgaben für Infrastruktur und Verteidigung zurück, sagte Wirtschaftsministerin Katherina Reiche am Mittwoch in Berlin. “Wir müssen kämpfen um unseren Wohlstand.” Es brauche Mut zu weiteren Reformen, Deutschland habe zu lange ein Entscheidungs- und Umsetzungsproblem gehabt. Als Beispiele nannte die CDU-Politikerin den Abbau von Bürokratie, schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren, niedrigere Steuern und eine Überarbeitung des Sozialstaats. Es brauche etwa eine längere Lebensarbeitszeit. “Deutschland droht zurückzufallen.”
Die Planungs- und Genehmigungsverfahren müssten beschleunigt werden, damit die Investitionen des Staates auch schnell wirken könnten. “Um langfristiges Wachstum zu sichern, müssen wir den Reformstau auflösen: Energiekosten senken, private Investitionen fördern, die im internationalen Vergleich hohe Steuer- und Abgabenlast angehen, Bürokratie abbauen, Märkte öffnen und Innovationen ermöglichen.”
Nach zuletzt zwei Rezessions-Jahren mit schrumpfender Wirtschaftsleistung dürfte es 2025 ein mageres Wachstum von 0,2 (bisher 0,0) Prozent geben. 2026 und 2027 rechnet die Regierung dann aber mit 1,3 und 1,4 Prozent. Bisher wurden für nächstes Jahr 1,0 Prozent erwartet. Die Regierung liegt mit ihren neuen Prognosen auf einer Linie mit den führenden Wirtschaftsforschungsinstituten, die ihr Gemeinschaftsgutachten am 25. September vorgestellt hatten.
Am Bau dürfte es laut Regierung bei den Investitionen dieses Jahr noch ein Minus von 2,3 Prozent geben, 2026 und 2027 dann aber Zuwächse von 2,0 und 3,7 Prozent. Die Exporte werden dieses Jahr voraussichtlich leicht schrumpfen, 2026 und 2027 dann aber um 1,2 und 1,6 Prozent anziehen. Da aber die Importe noch stärker anziehen dürften, werde der lange erfolgsverwöhnte Außenhandel in beiden Jahren das Wachstum bremsen.
Die Schwäche der Wirtschaft zeigte sich auch daran, dass die deutschen Unternehmen ihre Produktion im August so stark gedrosselt haben wie seit Beginn des Ukraine-Kriegs im März 2022 nicht mehr. Industrie, Bau und Energieversorger stellten zusammen 4,3 Prozent weniger her als im Vormonat, wie das Statistische Bundesamt mitteilte.
WIRTSCHAFT MAHNT TATEN STATT WORTE AN
Reiche sagte, die Regierung müsse den Trend zu steigenden Sozialversicherungsbeiträgen stoppen. Diese drohten bis 2035 auf knapp 49 Prozent zu steigen – von derzeit gut 42 Prozent. Die Regierung wolle deswegen mit der sogenannten Aktivrente einen Beitrag leisten, damit ältere Menschen freiwillig länger arbeiten. Dafür sollen 2000 Euro pro Monat steuerfrei sein. Die bereits beschlossenen Änderungen zur Senkung der Energiekosten sollten ab 2026 wirken, so Reiche. “All das wird noch nicht reichen.” Im Kabinett herrsche aber Einigkeit, dass es mehr Reformen brauche.
Vize-Kanzler Lars Klingbeil sagte, trotz der positiveren Aussichten für 2026 und 2027 dürfe man sich nicht zurücklehnen. “Es gilt weiter, um jeden Industrie-Arbeitsplatz in unserem Land zu kämpfen und die Jobs von morgen hier in Deutschland zu schaffen – auch in Branchen wie der Automobil- und der Stahlindustrie, die mitten in der Transformation sind”, sagte der SPD-Chef. “Wir werden weiter Reformen vorantreiben für mehr Wettbewerbsfähigkeit, weniger Bürokratie und einen zukunftsfesten Sozialstaat.”
Die Hauptgeschäftsführerin der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), Helena Melnikov, mahnte schnelles Umsetzen an. “Strukturelle Probleme bleiben bestehen, und Verbesserungen bei den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sind bislang kaum spürbar.” Es brauche bessere Standortfaktoren. Viele der angekündigten Maßnahmen der Regierung würden in die richtige Richtung weisen.
Der Handwerksverband ZDH betonte, es sei kein selbsttragender Aufschwung absehbar. Die Wachstumsprognosen für 2026 und 2027 gehe auf enorme Schulden des Staates zurück. “Eine echte wirtschaftliche Erholung muss aus dem Kreis der Unternehmen und Betriebe kommen und kann nicht durch staatliche Investitionsprogramme getragen werden. Doch davon sind wir weit entfernt.”
(Bericht von Christian Krämer, Klaus Lauer und Maria Martinez.; Redigiert von Hans Busemann; Bei Rückfragen wenden Sie sich an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)