Bafin prüft Gerresheimer-Bilanz – Aktien auf 15-Jahrestief

(neu: Anteil AOC, Aktienkurs, Analysten)

Düsseldorf (Reuters) – Die Finanzaufsicht Bafin nimmt den Spezialverpackungshersteller Gerresheimer wegen eines möglichen Verstoßes gegen Rechnungslegungsvorschriften unter die Lupe und hat damit die Aktien auf Talfahrt geschickt.

Die Prüfung sei eingeleitet worden, weil das Unternehmen möglicherweise Umsatzerlöse für einige Verträge mit Kunden erfasst habe, obwohl die Umsätze noch nicht realisiert worden waren, begründete die Behörde am Mittwoch ihren Schritt. Daher sei eine Prüfung der Bilanz zum Stichtag 30. November 2024 und des zugehörigen Lageberichts eingeleitet worden. Gerresheimer erklärte, man nehme die Prüfung sehr ernst. Es gehe im Kern aber nur um einen niedrigen zweistelligen Millionenbetrag und die Frage, ob dieser in der Bilanz 2024 oder 2025 gebucht werden müsse. Das Düsseldorfer Unternehmen macht einen Jahresumsatz von zwei Milliarden Euro.

Trotzdem brach die im Nebenwerteindex MDax notierte Aktie in der Spitze um knapp 40 Prozent ein und markierte mit 26,52 Euro den tiefsten Stand seit 15 Jahren. Am Nachmittag wurden die Titel noch mit einem Abschlag von 15 Prozent auf 36,28 Euro gehandelt. Analysten der Deutschen Bank werteten die Prüfung als Rückschlag für Gerresheimer: “Selbst wenn das Problem schnell gelöst wird, ist es ein weiterer Schaden für die Glaubwürdigkeit zu einem Zeitpunkt, an dem die Anlegerstimmung aufgrund der vier Prognosesenkungen für das Geschäftsjahr 2025 und der unterdurchschnittlichen Entwicklung der Übernahme von Bormioli Pharma im letzten Jahr ohnehin schon negativ ist.”

Unterdessen erklärte Gerresheimer-Großaktionär Active Ownership Capital (AOC), seinen Stimmrechtsanteil am 19. September auf 8,75 Prozent von zuvor 5,31 Prozent aufgestockt zu haben. Inklusive Derivaten hält AOC demnach mehr als zehn Prozent an dem Unternehmen. Der aktivistische Investor war Ende August bei Gerresheimer eingestiegen und hatte ein Sparprogramm und Verkäufe gefordert. Neben AOC ist auch der britische Aktivist Asset Value Investors an der Firma beteiligt.

KONZERN SICHERT KOOPERATION ZU

Gerresheimer erläuterte, bei der Bafin-Prüfung gehe es um Bestellungen, für die im letzten Drittel des Geschäftsjahres 2024 mit den jeweiligen Kunden sogenannte “Bill-and-Hold”-Vereinbarungen abgeschlossen worden seien. Die Prüfung solle nun klären, ob diese Erlöse im Konzernabschluss 2024 erfasst werden durften oder erst im laufenden Geschäftsjahr 2025. Eine Bill-and-Hold-Vereinbarung ist eine spezielle Art von Verkaufsgeschäft. Dabei stellt ein Unternehmen einem Kunden eine Rechnung für verkaufte Waren aus, liefert diese aber nicht sofort aus. Stattdessen lagert der Verkäufer die Ware für den Kunden ein, bis dieser sie zu einem späteren Zeitpunkt abruft.

“Wir nehmen die Prüfung durch die Aufsichtsbehörde sehr ernst”, betonte der neue Finanzchef Wolf Lehmann. “Wir werden deshalb vollumfänglich mit der BaFin kooperieren, um eine vollständige und transparente Klärung zu ermöglichen.” Großaktionär AOC wollte sich zur Bilanzprüfung nicht äußern.

Der Produzent von Verpackungen für die Pharma- und Kosmetikindustrie hatte für 2024 ein Umsatzplus von 2,9 Prozent auf gut zwei Milliarden Euro ausgewiesen. “Die im Rahmen von ‘Bill-and-Hold’-Vereinbarungen im Geschäftsjahr 2024 erfassten Umsätze entsprechen insgesamt einem niedrigen zweistelligen Millionenbetrag”, teilte das Unternehmen mit.

Gerresheimer hatte seit Jahresbeginn mit mehreren Finanzinvestoren – in wechselnden Konstellationen – über eine Übernahme verhandelt. Im Juni erteilte der Vorstand jedoch allen Bietern eine Absage. Stattdessen soll die Behälterglas-Sparte Moulded Glass verkauft werden, die rund 30 Prozent des Umsatzes macht. Gerresheimer will sich ganz auf Verpackungen für die Pharma- und Biotech-Branche spezialisieren. Ende August hatte das Unternehmen dann den Weggang seines Finanzvorstands Bernd Metzner verkündet. Lehmann wurde ab September sein Nachfolger.

(Bericht von Anneli Palmen, redigiert von Sabine Wollrab. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

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