Zürich/Frankfurt (Reuters) – Kurz nach dem Konzernchef wechselt der kriselnde Lebensmittelriese Nestle auch den Präsidenten seines Verwaltungsrats aus.
Der in die Kritik geratene Amtsinhaber Paul Bulcke tritt früher zurück als bisher geplant, teilte der Schweizer Konzern am Dienstag Abend mit. Zum 1. Oktober übernehme der ehemalige Inditex-Manager Pablo Isla die Leitung des Aufsichtsgremiums. “Für mich ist jetzt der richtige Zeitpunkt gekommen, mich zurückzuziehen und den geplanten Übergang zu beschleunigen”, wurde Bulcke in der Mitteilung zitiert.
Bei dem lange Zeit für seine Stabilität bekannten Hersteller von Kit-Kat- und Maggi setzen sich die beispiellosen Führungsturbulenzen damit fort. Erst vor zwei Wochen hatte Nestle Konzernchef Laurent Freixe entlassen, weil er eine romantische Beziehung zu einer ihm direkt unterstellten Mitarbeiterin nicht offengelegt hatte. Mit unmittelbarer Wirkung übernahm der 49-jährige Nespresso-Chef Philipp Navratil das Steuer des Konzerns.
Bereits Freixes Vorgänger Mark Schneider musste das Unternehmen verlassen, nachdem Nestle Ziele verfehlt und an Rückhalt bei Investoren und Mitarbeitern verloren hatte. Anleger waren auch mit Bulcke unzufrieden, wie die Nachrichtenagentur Reuters bereits im Juli berichtet hatte. Der seit 2017 amtierende Bulcke hatte Mitte Juni seinen Rücktritt zur Generalversammlung vom April 2026 angekündigt. Einem Medienbericht vom Wochenende zufolge hatten Investoren zuletzt aber Bulckes sofortigen Rücktritt gefordert. Sie stellten Bulckes Urteilsvermögen in Frage, so die Zeitung “Financial Times”. Die Entlassung des zweiten Konzernchefs innerhalb von gut einem Jahr habe die Bedenken der Aktionäre über die Unternehmensführung verschärft.
Ein Nestle-Sprecher erklärte, Isla und Navratil setzten auf eine organische Wachstumsstrategie, bei der Effizienzsteigerungen für Investitionen in das Portfolio und die Marken genutzt werden sollen. Um den Konzern wieder auf Kurs zu bringen ist viel Arbeit nötig. Denn bei Schlüssel-Indikatoren wie dem Umsatzwachstum und der Aktienpreisentwicklung hinkt Nestle, deren Produktpalette von Fertiggerichten und Tiefkühlprodukten über Süßwaren und Kaffee bis hin zu Vittel-Wasser und Tierfutter reicht, inzwischen Rivalen wie Danone und Unilever hinterher. Mit knapp 72 Franken notiert die Aktie weit unter dem Höchststand von knapp 130 Franken Anfang 2022.
Investoren und Analysten trauen Isla, der bereits im Nestle-Verwaltungsrat sitzt, einiges zu. Bei der Zara-Muttergesellschaft Inditex habe er Führungsqualitäten bewiesen, hieß es. “Eine der obersten Prioritäten des neuen Präsidenten wird der Umbau des Verwaltungsrates sein, der auch die volle Verantwortung für die schlechte Performance der letzten Jahre übernehmen sollte”, erklärte Jean-Philippe Bertschy, Analyst bei der Bank Vontobel. Bulcke habe in den vergangenen Wochen und Monaten unter enormem Druck gestanden, sein Amt niederzulegen. Die jüngsten Turbulenzen um Freixe seien wahrscheinlich der letzte Tropfen gewesen, der das Fass zum Überlaufen gebracht habe, so Bertschy. “Die Investoren wollten einen Neuanfang mit einem neuen CEO und einem neuen Präsidenten, um das nächste Kapitel zu schreiben.” Vorrangig sei eine Beschleunigung des Umsatzwachstums, so der Analyst.
(Bericht von Oliver Hirt, John Revill und Olaf Brenner. Redigiert von Ralf Bode. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)