UN-Kommission wirft Israel Völkermord im Gazastreifen vor

– von Emma Farge

Genf (Reuters) – Eine Untersuchungskommission der Vereinten Nationen wirft Israel einen Völkermord im Gazastreifen vor.

Hochrangige israelische Regierungsvertreter, darunter Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, hätten zu diesen Taten angestiftet, heißt es in dem am Dienstag in Genf veröffentlichten Bericht weiter. “In Gaza findet ein Völkermord statt”, sagte die Leiterin der Untersuchungskommission für die besetzten palästinensischen Gebiete, Navi Pillay. “Die Verantwortung für diese Gräueltaten liegt bei den israelischen Behörden auf höchster Ebene.” Der israelische UN-Botschafter in Genf wies die Darstellungen umgehend zurück.

Die israelische Regierung habe “seit fast zwei Jahren eine völkermörderische Kampagne mit der spezifischen Absicht inszeniert”, die radikal-islamische Hamas in Gaza zu vernichten, sagte Pillay weiter. Zur Untermauerung ihres Vorwurfs verweist die Kommission auf das Ausmaß der Opfer, die Blockade von Hilfslieferungen und Zwangsvertreibungen. In ihrer 72-seitigen Analyse stellt die Kommission fest, dass Israel vier von fünf Handlungen begangen hat, die in der Völkermordkonvention von 1948 als Völkermord definiert sind. Als Beweismittel nennt der Bericht unter anderem Interviews mit Opfern und Zeugen, verifizierte öffentliche Dokumente und die Auswertung von Satellitenbildern.

Die Kommission kommt zudem zu dem Schluss, dass Äußerungen von Netanjahu und anderen Regierungsvertretern ein “direkter Beweis für die völkermörderische Absicht” seien. Der Bericht zitiert einen Brief Netanjahus an israelische Soldaten vom November 2023, in dem er den Einsatz im Gazastreifen mit einem, wie die Kommission es beschreibt, “heiligen Krieg der totalen Vernichtung” aus der hebräischen Bibel vergleicht. Namentlich genannt werden auch der israelische Präsident Isaac Herzog und der ehemalige Verteidigungsminister Joaw Galant.

“SIE SIND TIERE”

Israels UN-Botschafter Daniel Meron nannte den Bericht eine “verleumderische Tirade”. Er sei “skandalös” und “gefälscht”. Die israelische Regierung hatte eine Zusammenarbeit mit der Kommission abgelehnt. Sie wirft ihr eine politische Agenda gegen Israel vor. Bei dem Gremium handelt es sich um eine unabhängige Kommission, die nicht offiziell für die Vereinten Nationen spricht. Die UN selbst haben den Begriff Völkermord im Zusammenhang mit dem Gaza-Krieg bislang nicht verwendet.

Israel sieht sich zudem mit einem Völkermordverfahren vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag konfrontiert. Die Regierung in Jerusalem weist solche Anschuldigungen zurück und beruft sich auf ihr Recht auf Selbstverteidigung nach dem Angriff der Hamas vom 7. Oktober 2023. Dabei wurden israelischen Angaben zufolge 1200 Menschen getötet und 251 als Geiseln genommen. Im darauffolgenden Krieg im Gazastreifen sind nach Angaben der von der Hamas kontrollierten Behörden bislang mehr als 64.000 Menschen getötet worden.

Pillay, eine ehemalige Richterin am Internationalen Strafgerichtshof und frühere Leiterin eines UN-Tribunals zum Völkermord in Ruanda, zog einen Vergleich zu der dortigen Situation. “Wenn ich mir die Fakten des Völkermords in Ruanda ansehe, ist das hier sehr, sehr ähnlich. Man entmenschlicht seine Opfer. Sie sind Tiere, und deshalb kann man sie ohne Gewissen töten”, sagte sie mit Blick auf den Gazastreifen.

Die Völkermordkonvention gilt als unmittelbare Reaktion auf die Verbrechen der Nationalsozialisten während des Zweiten Weltkriegs.

(Bericht von Emma Farge in Genf, Stephanie van den Berg in Den Haag; Bearbeitet von Alexander Ratz; Redigiert von Christian Götz. Bei Rückfragen wenden Sie sich an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

tagreuters.com2025binary_LYNXNPEL8F0B4-VIEWIMAGE