Berlin (Reuters) – Von einem neuen Punktesystem und weniger Bürokratie bei der Einwanderung erhofft sich die Ampel-Koalition Zehntausende neue Arbeitskräfte aus Staaten außerhalb der Europäischen Union (EU).
SPD, Grüne und FDP gaben am Montag eine Einigung auf ein neues Fachkräfte-Einwanderungsgesetz bekannt, das noch in dieser Woche vom Bundestag beschlossen werden soll. Dabei geht es nicht nur um Fachkräfte, sondern auch um Arbeitskräfte ohne anerkannte Berufsabschlüsse, die über ein Punktesystem nach Deutschland kommen können. Für bereits in Deutschland lebende Asylsuchende soll der Spurwechsel in den Arbeitsmarkt erleichtert werden. Zugleich will die Ampel Weiterbildung im Berufsleben stärker fördern. Neu ist auch eine Ausbildungsgarantie.
Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) verwies darauf, dass die wochenlangen Verhandlungen auf Ebene der Fraktionen bis Freitagabend nahezu geräuschlos und ohne öffentliches Geklingel verlaufen seien. “Aus zwei guten Gesetzentwürfen sind jetzt zwei bessere Gesetze geworden”, sagte Heil. Innenministerin Nancy Faeser (SPD) sprach von “zwei Riesenschritten nach vorne”.
CHANCENKARTE MIT BLEIBERECHT – BLAUE KARTE WIRD LEICHTER
Vorgestellt wurde die Einigung von den Parlamentarischen Geschäftsführenden der Ampel-Fraktionen. SPD-Politikerin Katja Mast sprach von einem “Riesen-Meilenstein” angesichts des Fachkräftemangels in Deutschland. Ihre Grünen-Kollegin Irene Mihalic zeigte sich “rundum zufrieden” mit der Einigung. Ihr FDP-Kollege Johannes Vogel stellte voran, dass in die Migration mehr Ordnung gebracht werden müsse: “Wir müssen die irreguläre Migration runterbringen und die reguläre Migration hoch.” Deutschland müsse zudem besser werden im globalen Wettbewerb um die besten Talente. Mit dem Punktesystem etwa orientiere sich Deutschland an Vorbildern wie Kanada.
Konkret vereinbarte die Ampel Änderungen am Gesetzentwurf unter anderem beim Punktesystem und bei den Mindestgehältern für die seit vielen Jahren etablierte Blaue Karte für Akademiker. Das Mindestgehalt für die Blaue Karte zur Einreise von Akademikern soll laut Reuters vorliegender Formulierungshilfe nochmals gesenkt werden und läge 2023 bei 43.800 Euro brutto jährlich, was 3650 Euro monatlich wären.
Über ein Punktesystem für Sprachkenntnisse, Qualifikationen und Alter können Ausländer zudem eine Chancenkarte für eine einjährige Jobsuche in Deutschland erwerben. Sie darf nur erteilt werden, wenn der Lebensunterhalt gesichert ist. Neu eingefügt wurde nun, dass die Karte um bis zu zwei Jahre verlängert werden kann, wenn es einen Arbeitsvertrag für eine qualifizierte Beschäftigung gebe und die Bundesagentur für Arbeit zugestimmt habe. Bisher war offengeblieben, wie das Aufenthaltsrecht im Fall einer erfolgreichen Jobsuche geregelt würde. Auch die Mindestvoraussetzungen für deutsche Sprachkenntnisse wurden von A2 auf A1 abgesenkt.
Mihalic unterstrich, dass auch ein Spurwechsel aus dem Asylverfahren in den Arbeitsmarkt möglich sein werde. Dies soll nur für Asylsuchende gelten, die bis zum Stichtag 29. März 2023 im Land waren. Voraussetzung sind entsprechende Qualifikationen und ein Arbeitsplatzangebot. Eine unbürokratische Lösung ist laut Mihalic auch beim Zweckwechsel der Einreise vorgesehen. Wer mit einem Touristenvisum einreise und ein Arbeitsangebot bekomme, müsse nicht mehr ausreisen, wenn die Anforderungen des Fachkräfte-Einwanderungsgesetzes an die Qualifikation erfüllt seien. Auch beim Familienmitzug von Fachkräften gebe es Erleichterungen, etwa dass deren Eltern mitreisen könnten.
Die Regierung erhofft sich von den neuen Einwanderungsregeln laut ihrem Gesetzentwurf jährlich etwa 75.000 zusätzliche Arbeitskräfte. Vogel sprach von einer “konservativen Schätzung”.
Zeitgleich soll ein Weiterbildungsgesetz beschlossen werden, um Qualifizierungen von Beschäftigten in Deutschland im Berufsleben finanziell zu unterstützen. Junge Leute erhalten zudem mit einer Ausbildungsgarantie einen Anspruch auf eine außerbetriebliche Ausbildungsstelle. Mit einer Verordnung wird zudem die Sonderregelung zur Anwerbung von Arbeitskräften aus sechs Westbalkan-Staaten entfristet. Das jährliche Kontingent wird auf 50.000 Arbeitskräfte verdoppelt.
Die Westbalkan-Regelung soll laut Vogel auch für andere Drittstaaten geöffnet werden. In Verhandlungen über Migrationsabkommen könne der Sonderbeauftragte der Bundesregierung, Joachim Stamp, dies künftig anbieten. Wenn dies im Sinne Deutschlands sei, könne dann das Kontingent für die Einreise über diese Regelung erhöht werden.
(Bericht von Holger Hansen; Redigiert von Scot W. Stevenson Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)











