Faeser betont in EU-Asylstreit offene Grenzen und Menschenrechte

Berlin/Luxemburg/Rom (Reuters) – Bundesinnenministerin Nancy Faeser dringt bei der Reform des Gemeinsamen Europäischen Asyl-Systems (GEAS) auf die Einhaltung der Menschenrechte und warnt vor neuen Grenzkontrollen.

“Für uns als Deutschland stehen die menschenrechtlichen Standards ganz vorne, und dafür werde ich auch heute hart kämpfen”, sagte die SPD-Politikerin vor Beratungen der EU-Innenministerinnen und Innenminister in Luxemburg am Donnerstag. Bei dem Treffen streben die EU-Staaten eine Reform des Migrations- und Asylrechts an, um den Zuzug von Flüchtlingen besser zu regeln und angesichts wieder steigender Zahlen zu reduzieren.

Bundeskanzler Olaf Scholz und die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni appellierten an die anderen 25 EU-Staaten, sich jetzt auf Reformen zu einigen. “Es wird schwierig, wenn wir die Probleme auf die anderen Partner abwälzen”, sagte Meloni nach einem Treffen mit Scholz in Rom. “Ich bin absolut überzeugt, dass wir zu einer Lösung kommen werden.” Scholz äußerte sich zuversichtlich, dass noch am Donnerstag oder “spätestens bald” eine Lösung gefunden werde. Andernfalls sei das Problem der steigenden Flüchtlingszahlen nicht zu lösen.

“Sollten wir heute scheitern oder in den nächsten 14 Tagen, dann ist es ein falsches Signal, das würde zu nationaler Abschottung führen”, betonte auch Faeser. “Das will ich nicht, ich möchte die Grenzen offenhalten.” Im Zentrum des Ministertreffens steht die Frage, ob Menschen mit wenig Aussicht auf Asyl in Europa sich an der EU-Grenze einem Prüfverfahren stellen müssen und bei Ablehnung direkt abgewiesen werden können. Die Bundesregierung trägt ein solches Vorgehen im Grundsatz mit, will aber Familien mit Kindern und Jugendlichen von solchen Grenzverfahren ausnehmen.

Faeser hob hervor, dass es in der Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP eine gemeinsame Haltung zu dem Thema gebe. “Deswegen wundere ich mich über manche Diskussion, die es dieser Tage gibt”, sagte die Ministerin mit Blick auf kritische Stimmen aus den Reihen von SPD und Grünen vor allem zu den Grenzverfahren. Bezogen auf den Schutz von Kindern und Jugendlichen betonte sie: “Dafür werde ich heute sehr stark kämpfen.” Zu den Aussichten auf einen Durchbruch in Luxemburg sagte sie: “Es könnte die Chance geben auf Einigung, aber nicht um jeden Preis.”

“INTENSIV RINGEN”

Umstritten ist auch die Verteilung anerkannter Schutzsuchender auf die EU-Staaten. Hier forderten Faeser mehr Solidarität von allen EU-Staaten. Vor allem Polen und Ungarn weigern sich wie schon in der Flüchtlingskrise 2015/2016, die überwiegend aus islamischen Ländern kommenden Menschen aufzunehmen. Der Vertreter Ungarns in Luxemburg schloss jedenfalls für sein Land die Zustimmung zu dem Paket aus. Ein Beschluss erfordert allerdings nicht die Einstimmigkeit.

Demgegenüber stehen vor allem die Südländer. Griechenland, Italien und Spanien tendieren dazu, viele Menschen nicht vor Ort einem Asylverfahren zu unterziehen, sondern lassen sie unregistriert weiterreisen, meist mit dem Ziel Deutschland. Nach den geltenden sogenannten Dublin-Regeln wären sie eigentlich verpflichtet, die Asylverfahren selbst zu organisieren. Deutschland wiederum sieht sich der Kritik ausgesetzt, mit hohen Sozialleistungen die Menschen nach Europa zu locken. In der geplanten Reform ist zudem vorgesehen, die Außengrenzen der EU besser zu schützen und nicht anerkannte Asyl-Bewerber leichter in sichere Herkunfts- und Transitländer abzuschieben.

Brisant ist das Thema für die Politik vor allem, weil angesichts steigender Flüchtlingszahlen rechtsnationale Kräfte Aufwind erhalten. Unter anderem auch deshalb schwebt in Deutschland die AfD in jüngster Zeit im Umfragehoch. “Man kann wegen der Migration immer noch in jedem Mitgliedsland eine Wahl gewinnen oder verlieren”, sagte ein ranghoher EU-Diplomat. “Das illustriert, wie umstritten das Thema ist.”

(Bericht von Alexander Ratz, Gabriela Baczynska, Andreas Rinke, Benoit van Overstraeten, Bart Meijer, Kristina Than; Redigiert von Kerstin Dörr; Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

tagreuters.com2023binary_LYNXMPEJ57075-VIEWIMAGE